GATT vor unlösbaren Aufgaben

■ Neue Welthandelsrunde beginnt im Zeichen des wachsenden Protektionismus / Konfrontation absehbar

Heute beginnt im uruguayischen Badeort Punta del Este die achte Verhandlungsrunde des GATT–Handelsabkommens. Bereits vor dem offiziellen Beginn der Ministerkonferenz des Allgemeinen Zoll– und Handelsabkommens (GATT) am Montag zeichnte sich am Samstag deutlich eine Konfrontation. 14 Industriestaaten und Entwicklungsländer beschlossen ihre ablehnende Haltung gegenüber der Agrarexportpolitik der EG und der der USA und forderten die Abschaffung der Subventionen für Agrarexporte, die nach ihrer Ansicht einen unlauteren Wettbewerb darstellen. Die USA erhoffen sich von dem Treffen vor allem einen leichteren Zugang zu den Dienstleistungsmärkten der Entwicklungsländer. Reagan zur Einstimmung: „Die amerikanische Kreativität ist Opfer einer internationalen Plünderei geworden“. Genf (taz) - Werden die Filialen von US–Banken mit US–Computern samt US–Programmen uneingeschränkt das Geld– und Finanzwesen der Länder der Dritten Welt vereinnahmen können, weil die technologische Lücke zwischen ihnen und den Industrieländern unüberbrückbar ist? Wird Siemens mehr noch als bisher die Staaten Südostasiens mit seinen digitalen Telekommunikationssystemen beglücken? Über den Handel mit Dienstleistungen wollen in der GATT– Runde vor allem die USA hart verhandeln. Vorbereitungskonferenzen haben jedoch gezeigt, daß die Länder der Dritten Welt genau dieses nicht akzeptieren wollen. Am Vorabend der Ministerkonferenz von Punta del Este waren die Ausgangspositionen festgefahren. Die hochentwickelten Industrieländer, angeführt von den USA, bestehen darauf, daß der Handel mit Dienstleistungen schrittweise liberalisiert werden müsse. Diesem Thema mißt Washington - zusammen mit der Liberalisierung des internationalen Agrarhandels - absolute Priorität bei. Unterstützung finden diese Staaten bei einer Handvoll von Entwicklungsländern (wie Südkorea, Hongkong, Singapur, Panama und Barbados), die Auslandsinvestitionen uneingeschränkt, also auch in strategisch wichtigen Sektoren, befürworten. Eine Gruppe von zehn Entwicklungsländern, mit Brasilien und Indien an der Spitze, wehrt sich mit allen Kräften gegen die Einbeziehung von Dienstleistungen in eine neue GATT–Runde. Diese beiden Länder werden unterstützt von Argentinien, Kuba, Ägypten, Nicaragua, Peru, Tansania und Jugoslawien. Im Mittelfeld bewegen sich diejenigen Entwicklungsländer, die sich trotz zum Teil gewichtiger Bedenken nicht länger prinzipiell der Aufnahme von Verhandlungen über Dienstleistungen widersetzen. Mit ihrem Einlenken wollen sie verhindern, daß sich die USA, wie angekündigt, im Fall einer Niederlage in Punta del Este in der Frage der Dienstleistungen von den Verhandlungen zurückziehen und damit die neue GATT– Runde von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Der Bereich der Dienstleistungen ist ein relativ neues GATT– Thema, das die Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahrzehnts, in erster Linie aus politischen Gründen, aufgegriffen haben. Ursprünglich galten die Erzeugnisse des Dienstleistungssektors, im Unterschied zu denen des Primärsektors (Landwirtschaft und Bergbau) und des Sekundärsektors (Industrie), als nicht handelbar, da ihre Produktion und Konsumtion meistens gleichzeitig erfolgte, mithin sie nicht lager–, geschweige denn transportfähig waren. Man bezeichnet sie auch als „unsichtbare“ Güter. Dank der neuen Kommunikationstechnologien und der zunehmenden Verkettung von Dienstleistungen und der Produktion von Industriewaren (der Verkauf eines Computersystems schließt in der Regel die Übernahme des dazu gehörenden Programms, der sogenannten „software“ mit ein, das mittler weile schon rund 80 Prozent der Gesamtkosten ausmacht) hat sich die Handelbarkeit von Dienstleistungen stark erhöht. Der Handel mit Dienstleistungen trägt heutzutage schon zu ca. 20 Prozent zum gesamten Welthandel bei und neueren Schätzungen zufolge werden acht bis zehn Prozent der Dienstleistungsproduktion international gehandelt. Neue Märkte für Dienstleistungen Der Handel erstreckt sich insbesondere auf folgende Kategorien: Telekommunikation, elektronische Datenverarbeitung, Informatik; der Bankensektor; die Versicherungswirtschaft; das Transportwesen; der Bausektor einschließlich „Engineering“; Beratungsdienste juristischer und medizinischer Natur sowie die Buchprüfung; Werbung, Film und Fernsehen; Tourismus und Bildung. Bislang sind die grenzüberschreitenden Transaktionen, die im übrigen vorwiegend auf das Konto der multinationalen Konzerne gehen, weltweit mehr oder weniger stark reglementiert. Wer etwa eine Bankfiliale im Ausland errichten, sich im Versicherungsgeschäft engagieren, eine Hotel kette, eine Werbefirma oder ein Computer–Kommunikationssystem in einem fremden Land aufbauen will, stößt meistens auf vielfältige Hindernisse. Zu den gängisten „Handelsschranken“ (wobei in der Praxis „Handel“ nichts anderes als Investitionen im Zielland bedeutet) zählt die Einschränkung der Handelsfreiheit generell aufgrund von Restriktionen für ausländische Unternehmen beim Niederlassungs– und Eigentumsrecht, Auflagen bei der Rückführung von Gewinnen, der Beschäftigung einheimischen Personals, Beschränkungen des grenzüberschreitenden Datenflusses usw. All das schmeckt den Ländern nicht, aus denen die Investoren stammen. Ihr Interesse liegt klar zutage. In diesem Sektor, der sich durch eine hohe Kapitalintensität und ein hohes technisches Niveau auszeichnet, sind sie praktisch konkurrenzlos auf dem Weltmarkt. Darüberhinaus zählt er zu den profitträchtigsten. Die Investitionen, die in diesem Zusammenhang notwendig sind, wie etwa zur Errichtung von Filialen und Computer–Terminals, machen einen ständig wachsenden Anteil der ausländischen Direktinvestitionen aus. Auf diesen Sektor entfielen bereits 1978 ein Fünftel aller in Lateinamerika getätigten ausländischen Direktinvestitionen. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil nicht einmal halb so hoch. Berechtigte Skepsis Die Hardliner unter den Entwicklungsländern widersetzen sich der Einbeziehung von Dienstleistungen mit folgenden Argumenten: - Die Länder der Dritten Welt verzeichnen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer rascher wachsende Defizite im Handel mit Dienstleistungen, was sich gravierend auf ihre Devisenlage auswirkt und zur Verschärfung ihrer Verschuldung beiträgt. - Die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen, so fürchten sie, würde zu einer neuen internationalen Arbeitsteilung führen, die ihnen große Nachteile bringt: sie hätten sich auf den Ausbau ihres Industriesektors zu konzentrieren, während der Sektor der Dienstleistungen, strategisch ungleich wichtiger, vollständig von den Ländern des Nordens beherrscht würde. - Formal gesehen, argumentieren sie, sei das GATT für den Sektor der Dienstleistungen nicht zuständig. Wenn schon Verhandlungen unumgänglich seien, dann nach Möglichkeit im UNCTAD– Rahmen, einer Organisation also, die weitaus Dritte Welt–freundlicher ist als das von den Industrieländern dominierte GATT. Kompromißformel Die Industrieländer ihrerseits haben keinerlei Verständnis für die grundsätzlichen Bedenken der Entwicklungsländer. Sie sind allenfalls zu kosmetischen Zugeständnissen bereit, in der Sache selbst wollen sie in Punta del Este hart bleiben. Die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen stellt ihrer Meinung nach eine potentiell neue Wachstumsquelle des Welthandels dar, die im Interesse aller liege, die Entwicklungsländer eingeschlossen. Beobachter rechnen trotz der entgegengesetzten Positionen mit einem Kompromiß. Sie gehen davon aus, daß ein Scheitern der Konferenz in dem uruguayischen Badeort für die Entwicklungsländer fatale Folgen haben könnte. Sollte dies der Fall sein, prophezeite unlängst der Gastgeber, Uruguays Außenminister Iglesia, „können wir mit einem wahren Welthandelskrieg rechnen, dessen Opfer wir, die Entwicklungsländer, sein werden“. Um diese Gefahr zu bannen, könnten sich die Entwicklungsländer bereit erklären, Verhandlungen in diesem Sektor außerhalb des GATT–Rahmens, unter Hinzuziehung der UNCTAD zuzustimmen. Die Industrieländer könnten sich mit einer derartigen Formel einverstanden erklären unter der Voraussetzung, daß die Verhandlungen hierüber parallel zu der eigentlichen GATT–Runde stattfinden und die Einheit der Verhandlungen gewährleistet ist. Alfred Krüger