: „Du mußt dann auch mal in den Haushalt!“
■ Die grüne Fraktion diskutiert „ihr“ Antidiskriminierungsgesetz / Heftige Kontroversen um das Sexualstrafrecht und den § 218 / Soll die Mindeststrafe bei Vergewaltigung gesenkt werden? / Grüne Männer befürchten ein „Berufsverbot“ / Die Sündenböcke sind schon ausgesucht / Heute wird entschieden
Aus Bonn Ursel Sieber
„Bleib doch, Willi, wir sind gleich durch“, sagt Waltraud Schoppe, und Willi Hoss setzt sich seufzend wieder hin. Um halb zehn Uhr sind sie tatsächlich „durch“. Das verbliebene Häuflein der Grünen im Bundestag stimmt dem Antidiskriminierungsgesetz (ADG) zu. Das ADG kann somit in den Bundestag. Genauer, der Großteil des umfangreichen Entwurfes: die Generalklausel, die Diskriminierung jeder Art gegenüber Frauen verbietet; das Quotierungs– und Frauenbeauftragtengesetz, die Artikelgesetze, u.a. zu Familienrecht, Arbeitszeit, Einkommenssteuer und anderen Bereichen mehr. Auf Teile des Sexualstrafrechts - Vergewaltigung, § 218 und Prostitution - kann man sich pikanterweise an diesem Abend nicht mehr einigen. Ein erneuter Versuch wird heute unternommen. Über drei Jahre lang ist am ADG gebastelt worden, im Arbeitskreis Frauenpolitik der Fraktion und der Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen, vorwiegend von Frauen ohne Mandat. Über 300 Veranstaltungen, eine Anhörung im Bundestag und einen Frauenkongreß hat das ADG auf dem Buckel, überall stießen die Autorinnen auf große Zustimmung, nahmen die Anregungen auf. Die Sitzung der Bundestagsfraktion zu „ihrem“ Gesetz, die letzte Hürde vor der ersten Lesung im Plenarsaal, ist dagegen schlecht besucht. Selbst Mandatsträgerinnen tun sich zum Teil schwer mit dem ADG. Uschi Eid und Anne Borgmann wird nachgesagt, aus „echter Solidarität“ weggeblieben zu sein, um nicht dagegen stimmen zu müssen. Die Nachrückerin Halo Seibold ist gegen die ersatzlose Streichung des § 218; einige haben Probleme mit der zweijährigen Mindeststrafe für Vergewaltigung. Bald entwickelt sich dieses Strafmaß zum zentralen Streitpunkt. „Entkriminalisierung“ bei Vergewaltigung? Im ADG ist der Vergewaltigungsparagraph feministisch „umgeschrieben“: Der „minderschwere Fall“ von Vergewaltigung ist gestrichen. Nicht nur vaginale, sondern auch orale und anale Vergewaltigung gelten nun als „mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren“ bestraft. Orale und anale Vergewaltigung fallen im heutigen Strafrecht unter „sexuelle Nötigung“ (§ 177, Absatz 1). Als neuen Tatbestand haben die Autorinnen die Gemeinschaftsvergewaltigung eingeführt, die mit einer Mindeststrafe von drei Jahren belegt wird (§ 177, Abs. 2). Das stößt auf große Empörung. Zunächst stürzen sich alle auf die dreijährige Mindeststrafe für Gruppenvergewaltigung. Immer wieder fällt der Satz: „Ohne Strafverschärfung hätte ich keine Probleme, das ADG mitzutragen.“ Der Abgeordnete Christian Ströbele ist Wortführer dieser Kritik. Ziel der Grünen sei „Entkriminalisierung“ bei allen Straftatbeständen. Das Strafrecht sei weder für gesellschaftliche Veränderungen noch zur Abschreckung geeignet, so Ströbele. Er könne sich nicht überall gegen Gefängnisse und für niedrigere Strafen einsetzen und hier eine Verschärfung mittragen. Darum wolle er am liebsten auf Mindeststrafen ganz verzichten. Aber es geht nicht nur um die drei Jahre Knast für Gruppenvergewaltigung. Auch die zwei Jahre Mindeststrafe für Vergewaltigung sehen die meisten als „Verschärfung“. Durch die Streichung des „minderschweren Falles“, durch die Gleichstellung von oraler und analer Vergewaltigung mit der vaginalen Penetration und durch Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe sei, so wird argumentiert, der Tatbestand „ausgeweitet“ worden. Damit kämen „rein quantitativ“ mehr „Leute“ ins Gefängnis, und das widerspreche dem grünen Ziel der „Entkriminalisierung“. Darüberhinaus wollen einige im ADG Denkfehler festgestellt haben. Dem Abgeordneten Hendrik Auhagen z.B. sind beim Nachdenken „Inkonsequenzen“ aufgefallen: Mit der ersatzlosen Streichung des § 218 wollten die Frauen eine „Entstrafrechtlichung“, bei der Vergewaltigung aber eine „schärfere Kriminalisierung“. In seinem Kopf passe das nicht zusammen. Auch Christa Nickels benutzt diesen scheinbar so trefflichen Vergleich. Wenn man bei Vergewaltigungen die Strafen „verschärfe“, um die Frau zu schützen, und gleichzeitig den § 218 ersatzlos streiche, „bedeutet das für den unbeteiligten Beobachter, das ungeborene Leben ist kein schützenswertes Gut“. Im Arbeitskreis „Recht und Gesellschaft“ der Fraktion ist nun ein Gegenvorschlag ausgebrütet worden: „Die Ausdehnung des Vergewaltigungstatbestandes auf Verhaltensweisen, die bisher nur als sexuelle Nötigung strafbar waren, ist nur akzeptabel, wenn gleichzeitig der Strafrahmen von bisher zwei Jahren auf höchstens ein Jahr Mindeststrafe herabgesetzt wird.“ Und weiter heißt es: Dies hindere ja nicht daran, „weitaus höhere Strafen“ auszusprechen, lasse aber die Möglichkeit offen, „eine Strafe noch zur Bewährung auszusetzen“. Auch der Neufassung des Paragraphen zur „sexuellen Nötigung“ wollen einige Rechtspolitiker an den Kragen. Im ADG wurden die Begriffe „mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenseitiger Gefahr für Leib und Leben“ ersatzlos gestrichen und die Worte „gegen den Willen der Frau“ eingefügt. Die Schwere der Tat soll so ausschließlich durch das Verhalten des Täters bestimmt werden, die Frau muß nicht mehr nachweisen, Widerstand geleistet zu haben. Selbst diese Veränderung wird als „Ausweitung“ begriffen und soll mit einer Herabsetzung der Mindeststrafe auf drei Monate „ausgeglichen“ werden. Für die ADG–Frauen ist das ein Schlag ins Gesicht. „Der Wert eines Rechtsgutes wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, wie seine Ver letzung sanktioniert wird“, sagt die Rechtsanwältin Dagmar Kampf, die am ADG maßgeblich beteiligt ist. Die Herabsetzung des Strafmaßes für Vergewaltigung würde bedeuten, „daß die Grünen einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Frau nicht mehr den Wert zumessen, den dieses Recht heute hat“. Und: „Wenn wir das Strafrecht ändern, dann bitte nicht da anfangen, wo es um die Schutzwürdigkeit von Frauen geht.“ Die Sprecherin der BAG– Frauen, Verena Krieger, wehrt sich gegen die angeblichen „Inkonsistenzen“. Da bestehe kein Widerspruch, sagt sie. In beiden Fällen, bei der Streichung des § 218 und den zwei Jahren Mindeststrafe für Vergewaltigung gehe es darum, Verfügungsrechte von Männern gegenüber Frauen zu beseitigen bzw. zu sanktionieren. Die Linie des „Arbeitskreis Frauenpolitik“ der Fraktion und der Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen ist klar. Sie werden dem ablehnenden Teil der Fraktion entgegenkommen, indem sie den Absatz zur Gruppenvergewaltigung streichen. Aber eine Herabsetzung der Mindeststrafe von zwei Jahren auf ein Jahr bei Vergewaltigung und von einem Jahr auf drei Monate bei sexueller Nötigung werden sie nicht mitmachen. Grüne und der § 218 Im ADG ist das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung festgeschrieben, „in Fragen, die ihre psychische und körperliche Identität betreffen“. Der § 218 ist deshalb ersatzlos gestrichen. Einige aber wollen die Fristenlösung; Halo Seibold, „weil die ein gewisser Schutz und eine Wertschätzung des ungeborenen Lebens“ bedeute; Hendrik Auhagen, weil dann die „Inkonsistenzen“ mit der Vergewaltigung wegfielen; Otto Schily, weil „die besser in die Rechtssystematik“ paßt. Und weil er findet, daß die Grünen „primär“ an den Bedingungen ansetzen sollen, „damit auch alleinstehende Frauen ein Kind austragen können“. Er schlägt vor, den § 218 aus dem ADG ganz herauszunehmen. Auch durch eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse sind Abtreibungen nicht aus der Welt zu schaffen, betont dagegen Verena Krieger. Damit lüge man sich nur etwas vor. Überhaupt „hatte der § 218 nie die Funktion, ungeborenes Leben zu schützen, sondern die Frauen zu kontrollieren und zu unterdrücken“. Die Fristenlösung lasse sich nur medizinisch begründen, so Verena Krieger weiter, alles andere sei „falsch und verlogen“. Die Frauen tragen bisher die Verantwortung für die Kindererziehung, sagt die Wegrückerin Waltraud Schoppe. „Warum wollt ihr die Verantwortung über Abtreibung nicht auch in ihre Hände legen?“ Es ist kein Zufall, daß sich damit niemand auseinandersetzt. Stattdessen ein Zwischenruf, so richtig aus dem Bauch: „Und was ist mit den Frauen, die im achten Monat abtreiben?“ Selbst Grüne scheinen an CDU–Zeitungsanzeigen zu glauben. Überhaupt offenbaren die meisten einen erschreckend geringen Kenntnisstand über den Abtreibungsparagraphen, und das verleitet sie zum Schwadronieren und Philosphieren. Otto Schily beispielweise denkt ausführlich darüber nach, ob bei sich entwickelndem Leben nicht doch von einem „Subjekt–Subjekt–Verhältnis“ gesprochen werden müsse. Er richtet an Verena Krieger sinngemäß die Frage, wie denn das Eintreten für das Recht der Frau auf Selbstbestimmung mit einer Abtreibung des weiblichen Fötus zu vereinbaren sei. Kurze Bemerkungen, die die Zukunft der Grünen betreffen, haben einen unguten Zungenschlag. Der Beschluß vom letzten Bundesparteitag in Hannover habe nur zur Folge, „daß die Position der katholischen Kirche Auftrieb bekommt“, so der Abgeordnete Norbert Mann. Und als dieser Tage in Bayern wieder Anzeigen geschaltet wurden, die die Grünen als Babymörder hinstellen, ruft der Nachrücker Wolfgang Daniels einer Mitarbeiterin ein kurzes: „Das habt ihr nun davon“ über den Flur. Da werden heute schon die Sündenböcke von morgen ausgesucht. Quotierung als Bedrohung Die Atmosphäre entspannt sich erst, als das Quotierungsgesetz an der Reihe ist. Es verpflichtet Privatwirtschaft und öffentlichen Dienst, Frauen so lange zu bevorzugen, „bis sie auf allen Ebenen / Bereichen zu mindestens mit 50 Prozent vertreten sind“. Hendrik Auhagen allerdings möchte die Quotierung so abschwächen, daß nur die Hälfte aller neu zu besetzenden Stellen an Frauen gehen. Sonst hätten ausgebildete Juristen, Architekten oder Wissenschaftler in den nächsten 20 Jahren keine Chance auf einen Arbeitsplatz mehr. Das, so Auhagen, laufe auf ein „Berufsverbot für Männer“ hinaus. Eine Generation von Männern müsse dann für 2.000 Jahre Patriarchat „büßen“, und damit fielen die Grünen „hinter den alten Wert der Aufklärung“, das „Individualprinzip“ zurück. Er, Auhagen, stehe mit dieser Ansicht nicht alleine. Andere Männer würden sich nur nicht trauen, und leises Gemurmel von Mitarbeitern auf den Zuschauerstühlen scheint das zu bestätigen. „Man kann Diskriminierung nicht dadurch aufheben, indem man eine andere verhängt“, pflichtet Schily bei. Er habe mit einer Quotierung nur dort keine Probleme, „wo es, wie in Parteien, bei Mandaten oder auch Richtern, um gesellschaftliche Repräsentanz“ gehe. Ansonsten halte er nichts von „starren Gesetzen von oben“, die Gesellschaft müsse sich vielmehr vor Ort „durch Verständigung und Assoziation“ einigen. Hannegret Höneß macht deutlich, daß die Quotierungsregelung im ADG den Frauen selbst die Entscheidung überlasse, ob sie in alle Berufe zu 50 Prozent hineinwollen, und darum sei das Gesetz sehr flexibel. Dem aufgeregten Hendrik Auhagen und dem ungerührt dreinblickenen Otto Schily versucht sie klarzumachen, daß „du mal in den Haushalt mußt“ und „nichts positiver ist als 15 Jahre Hausarbeit“. Christa Nickels versichert, die Männer könnten auf die Frauen als „treue Verbündete“ rechnen, wenn es darum gehe, Hausarbeit und Kinderaufzucht aus Isolation und Unterdrückung zu befreien. Dann wird die Quotierung abgestimmt. Von den Frauen sind alle dafür, von den (anwesenden) Männern heben zwei die Hand dagegen, zwei enthalten sich. Das Gesetz über die Einrichtung einer Frauenbeauftragten in Bund, Ländern und Gemeinden, ausgestattet mit Handlungs– und Eingriffskompetenzen passiert ohne Diskussion die Runde. Anders die Paragraphen zur Prostitution: „Kasernieren“ stößt auf Widerspruch. Daß die geltenden Sperrbezirksverordnungen gestrichen werden sollen, stößt auf Widerspruch. Die Prostitution sei „als Berufsausübung wie jede andere zu schützen“, solange „Männer die Dienste der Prostituierten in Anspruch nehmen“, wird im ADG argumentiert. Daher sei es unzulässig, die Prostituierten mit diskriminierenden Sperrbezirksverordnungen in bestimmten Häusern zu kasernieren oder in bestimmte Stadtviertel auszugrenzen. Das Recht der Allgemeinheit vor Belästigungen und der Schutz der Jugend müsse, so heißt es weiter, gegenüber dem Recht der Prostituierten auf ungehinderte Berufsausübung zurücktreten. Die Angst vor einer neuen „Kinder–Sex–Debatte“ kommt an dieser Stelle hoch, und so wird auch dieser Punkt vertagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen