I N T E R V I E W „Bemerkenswerte Erkenntnisse“

■ Klaus Bätjer ist Physiker in Bremen.Nicht mehr an der Universität, sondern „hauptsächlich arbeitslos“, wie er selbst sagt. Der Mitarbeiter der Arbeitsgruppe des Atomgegners Jens Scheer ist Experte für materialtechnische Fragen.

taz: Herr Professor Bätjer, als Experte sind Sie auch für die Hamburger Anhörung zum Atomkraftwerk Stade eingeladen worden. Klaus Bätjer: Ich hab bisher noch keine Absage bekommen. Soweit ich weiß, ist die Hamburger Anhörung nur verschoben. Eben. Kritische Wissenschaftler werden zur Zeit durchaus auch von Regierungsstellen angehört, wie sich selbst im Bonner Wirtschaftsministerium gezeigt hat. Nur fehlen jetzt plötzlich die Genehmigungsunterlagen. Der Hamburger Senat bekommt sie nicht, ihr Kollege Ehrenstein mußte aus dem selben Grund in Stade passen. Warum brauchen Sie eigentlich diese Akten? Ich habe nach dem Unfall in Tschernobyl zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder Kraftwerks–Unterlagen und -Bücher in die Hand genommen. Mir fiel sofort auf, daß vor allem die deutschen Wissenschaftler aus einer Art schlechten Gewissens heraus argumentieren. Sie wollen offenbar ununterbrochen irgendetwas verteidigen und haben dabei Schwierigkeiten, die Daten, die es wirklich gibt, herauszurücken. Das ergibt sich aus der sogenannten „Deutschen Reaktorsicherheitsstudie“, und noch frappanter zeigte sich daran, daß manche Akten einfach verschwunden sind. Welche Unterlagen gibt es, und welche sind verschwunden? Wenn man Stade betrachtet: Es gibt die offiziellen Unterlagen der Errichtung und alle Teileerichtungsgenehmigungen - ein paar hundert für das Kraftwerk Stade - die nach dem Gesetz von den Behörden offen ausgelegt wurden. Sie sind oft mit Gutachten des TÜV und der Reaktorsicherheitskommission unterstützt worden. Dann gibt es natürlich spezielle Probleme, die die Betreiber zum Teil auf eigenen Kosten haben untersuchen lassen. Diese Akten können einen Stempel „Vertraulich“ tragen. Aber auch die nicht als „Vertraulich“ abgestempelten Papiere, die ja bei Genehmigungsklagen den Gerichten vorliegen, werden zur Zeit nicht herausgerückt. Was steht denn darin? Im Falle des Kraftwerks Stade steht da zum Beispiel drin, welche Untersuchungen angestellt wurden, um sicherzustellen, daß die Versprödung der Schweißnähte nicht so groß ist, daß ein katastrophales Versagen des Druckbehälters mit allen Folgen wie Kernschmelze, Bersten des Containements und Freisetzung von Radioaktivität eintreten kann. Da stehen Daten, Fakten und Berechnungsmethoden drin, die man nachvollziehen oder auch nicht nachvollziehen kann. Betreiber und Ministerialbeamte sprachen auf dem Stader Hearing von „Ertüchtigungen“ des 14 Jahre alten Reaktors. Haben sich irgendwelche neuen Erkenntnisse ergeben? Ich finde schon. Eine bemerkenswerte Erkenntnis ist zum Beispiel die Verweigerung der Information an gewählte Vertreter des Volkes. Zweitens hat sich ergeben, daß Stade gegen Einwirkungen von außen miserabel ausgelegt ist. Ein Unfall passiert per Definition immer dort, wo man es nicht erwartet. Immer mehr kritische Wissenschaftler melden sich zu Wort, auf der anderen Seite fahren die Betreiber und Genehmigungsbehörden immer mehr Experten auf. Wie lange kann die Anti–AKW–Bewegung diese Eskalation durchhalten? Gute Frage. Das Interview führte Niklaus Hablützel