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Technisches Provisorium fürs AKW in Stade

Nur vier Jahre dauerte der Bau des - neben Würgassen - ersten kommerziellen Druckwasserreaktors. 1968 begonnen, ging das Werk am 8. Januar 1972 mit einer Leistung von 600 Megawatt in Betrieb. Störfälle größerer Art gab es keine, die sogenannten „Verfügbarkeit“ liegt mt 84,7 Prozent an der Weltspitze. Trotzdem wurde an keinem Atomkraftwerk mehr herumgebastelt als an dem inzwischen lukrativen Veteranen. Der problematischste Umbau wurde Anfang dieses Jahres fertiggestellt. Er betrifft das Notkühlsystem. Ende vergangenen Jahres mußte auch der Betreiber „Preussen–Elektra“ zugeben, daß der Druckbehälter eine Notabschaltung möglicherweise nicht mehr aushalten könnte. Um eine Überhitzung des Kerns zu verhindern, wäre bisher kaltes Kühlwasser unter hohem Druck in den Behälter gepumpt worden. Diesem Temperatursturz von etwa 200 Grad Celsius hätten, so ergaben Materialprüfungen, die Schweißnähte nicht mehr standgehalten. Sehr viel schneller als vorausberechnet, hat der beständige und intensive Neutronenbeschuß der Kernummantelung zu einer Versprödung des Materials geführt. Im Notfall wäre damit zu rechnen, daß der Druckbehälter auseinanderbräche. Das hat übrigens militante Atomgegner bisher davon abgehalten, auch nur einen Stromleitungsmast des Stader Kraftwerkes umzusägen. Um die Betriebsgenehmigung trotz dieses erhöhten Risikos zu behalten, ließen sich die Betreiber gleich zwei technische Eselsbrücken einfallen: Einmal werden am äußeren Rand des Brennstab–Bündels (“Cor“) abgebrannte Elemente niedergelassen. Sie absorbieren einen Teil der Neutronen aus dem Kerninneren und geben selbst geringe Mengen Strahlung ab. Der Effekt dieses „Schonprogramms“ ist allerdings geringer als erwartet, die Versprödung schreitet weiter fort. So muß nun das Notkühlwasser über die normalen Dampferzeuger zwischen Primär– und Sekundärkreislauf vorgewärmt werden. Der Temperaturschock verringert sich dadurch, die Nähte sollen halten - falls das Wasser auf diesem Umweg schnell genug oder überhaupt den Kern erreichen wird. Erprobt wurde das System nirgendwo. Niklaus Hablützel

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