Hamburg präsentiert Ausstiegs–Szenario

■ Senat der Hansestadt beschloß ein Rahmenkonzept für den Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von zehn Jahren / Endgültiger Ausstieg „nur bundesweit möglich“ / Die Grün–Alternative Liste (GAL) kritisiert Widerspruch von Ausstiegsplan und praktischer Politik

Aus Hamburg Florian Marten

Gestern mittag verzögerte sich der Ausstieg zunächst, dann fand er gar nicht statt: „Bürgermeister Klaus von Dohnanyi: Der Ausstieg ist nicht machbar“ war die verspätet hergestellte Dokumentation zum Ausstieg des Hamburger Senats überschrieben. Der Stadtchef kritzelte das „nicht“ ärgerlich durch und kommentierte den „Fauxpas“: „Das war der Setzer.“ Ausstiegspanne oder tiefere Wahrheit? Der Hamburger Senat, der im Mai 1986 eine erste Willenserklärung zum Ausstieg aus der Atomenergie abgegeben hatte, präsentierte gestern das Ergebnis seines Umdenkens: Rahmenricht linien für eine neue regionale und bundesweite Energiepolitik. Ausgangspunkt: Nach Tschernobyl sei das „Restrisiko“ nicht mehr vertretbar. In einem Zeitraum von circa zehn Jahren - auf ein genaues Datum wollte sich der Senat nicht festlegen - sei der Ausstieg in Hamburg ohne wirtschaftliche Nachteile für die städtischen Elek trizitätswerke (HEW) möglich. Sogar ein kurzfristiger Ausstieg würde angesichts der enormen Hamburger Stromüberkapazitäten - die Hansestadt ist mit 74 Prozent Atom–Eldorado der BRD - die Kilowattstunde lediglich um 1,6 Pfennig verteuern. Schon heute, so Stadtchef Dohnanyi, sei ein Kohlekraftwerk auf Importkohlebasis (aus Südafrika) billiger als ein neues AKW. Ein „endgültiger Ausstieg“ sei jedoch sowieso nur bundesweit möglich. Deshalb will der Hamburger Senat eine Initiative zur Änderung von Atomgesetz und Energiewirtschaftsgesetz in den Bundesrat einbringen. Fortsetzung auf Seite 2 Da die Stadt über die HEW nur Minderheitsbeteiligungen an den AKWs Brokdorf, Brunsbüttel, Stade und Krümmel besitzt, wird überlegt, ob sich die Stadt über einen Tausch von Kraftwerksanteilen in den Besitz eines einzigen, dann stillzulegenden Reaktors bringen könne. Sehr ernsthaft, das betonte gestern Energiesenator Kuhbier, wird dieser Weg allerdings nicht beschritten. Immerhin wird die Möglichkeit in Erwägung gezogen, noch juristisch gegen die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf vorzugehen: Der Senat prüft, ob er die Erteilung der letzten Teilerrichtungsgenehmigung noch anfechten kann. Darüber hinaus will er politisch gegen die Inbetriebnahme von Brokdorf angehen und sich für die vorzeitige Stillegung von Stade einsetzen. In der Hansestadt selbst sollen die HEW zu einer Satzungsänderung gezwungen werden, die als zukünftiges Unternehmensziel eine Stromerzeugung ohne Atomstrom festschreibt. Bis 1995 will sich die Stadt von ihren AKW–Beteiligungen gelöst haben, die Energieversorgung auf Kohlebasis aufgebaut und Energiesparmaßnahmen eingeleitet haben. Wie ernsthaft der Senat sein Ausstiegspaket nimmt, ist unklar. Das Rahmenkonzept, welches in Richtung und Details viele Forderungen der GAL aufnimmt, läßt Hintertüren offen. Die GAL wertet das Ausstiegskonzept als „wenig glaubhaft“, es stehe im Widerspruch zur praktischen Politik der Stadt.