Stationen einer Abschiebung in die Angst

■ Was libanesischen Flüchtlingen passieren kann, die dem BGS in Helmstedt in die Hände fallen / Wer kein gültiges Visum hat, wandert in den Braunschweiger Knast In Fesseln zum Flughafen zwecks Abschiebung / Ein grausames „Asylanten–Ping–Pong“ nimmt seinen Lauf

Aus Hannover Axel Kintzinger

Wenn Mahmoud Ahmad Mzaouak davon berichtet, daß er eine leitende Funktion in der sunnitischen Miliz Mourabitoun inne hatte, fällt es schwer, ihm das abzunehmen. Klein, ein wenig untersetzt und sehr schüchtern bestätigt er keineswegs die Vorstellungen, die man sich in Mitteleuropa von einem bewaffneten Kämpfer aus dem Nahen Osten macht. Im Sommer dieses Jahres waren ihm die Verhältnisse in Beirut unerträglich geworden: Angst um sein Leben und das seiner Familie bestimmten den Alltag. Die Flucht aus dem Krisengebiet war gut vorbereitet. Ende Juni reiste seine Frau mit den fünf Kindern in Richtung Bundesrepublik aus. Zwei Wochen später folgte Mzaouak. Auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld durchläuft er die Prozedur, die alle dort ankommenden Flüchtlinge über sich ergehen lassen müssen: Verfrachten in eine S– Bahn zum Übergang Friedrichstraße, wo sie in den Zug nach Westdeutschland gesetzt werden. Den ersten hautnahen Kontakt mit bundesdeutschen Behörden bekommen die Flüchtlinge am Helmstedter Bahnhof. Im Juli wich die Behandlung vieler Asylsuchenden von dem gängigen Verfahren ab: Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) leiteten die Ankommenden nach einem ersten Verhör nicht in eines der Sammellager weiter, sondern nahmen einige der Flüchtlinge fest. Einer von ihnen, allein im Juli waren es nach Angaben des BGS 247, ist Mzaouak. „Ich habe Antrag auf Asyl gestellt, aber das wurde überhaupt nicht beachtet“, berichtet er. Mit der Begründung, nicht im Besitz eines gültigen Einreise– oder Transitvisums zu sein, wurde er umgehend in den Braunschweiger Knast Rennelberg verschubt. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli kam er in eine Zelle, in der schon vier seiner Landsleute saßen. Noch immer hatte Mzaouak keine Auskunft darüber erhalten, wo sich seine Familie aufhält und wie es ihr ergangen ist. Knastrevolte gegen Abschiebung Im Rennelberg kommt es noch in dieser Nacht zur Revolte. Die Gefangenen wußten, daß sie in den frühen Morgenstunden des 15. Juli gegen ihren Willen in den Libanon zurückgeflogen werden sollten. Der 15. war ein Dienstag, und nur Dienstags und Freitags fliegt die libanesische Fluggesellschaft „Middleeast Airlines“ von Frankfurt aus nach Beirut. Zudem dürfen sich „Zurückgeschobene“ (so die offizielle Bezeichnung) nicht länger als sieben Tage in der BRD aufhalten, sonst haben sie eine Aufenthaltsberechtigung bis zur Entscheidung ihres Asylantrages. In einer Zelle versuchen drei Libanesen und zwei Palästinenser, ihre Zurückschiebung zu verhindern. Mahmoud Baydoun, einer der Beteiligten, berichtet: „Wir haben mit den Betten die Zellentür verbarrikadiert, so daß sie uns nicht rausholen konnten.“ Nicht nur die Schließer wurden nervös. „Vom Zellenfenster aus konnten wir beobachten, daß sich auf der Straße Feuerwehr, Polizei und auch Krankenwagen sammelten“, sagt Baydoun. Als durch das Zellenfenster Wasser in den Raum gespritzt wurde, lenkten die Abschiebehäftlinge kurzfristig ein. „Aber nur, um unsere Papiere ins Trockene zu retten.“ Nur an dieser Stelle seines fast zweistündigen Berichts huscht ein Lächeln über das Gesicht von Mahmoud Baydoun. Ansonsten wirkt er etwas verängstigt, weiß nicht so recht, was die Presse sowie der ebenfalls anwesende Grünen–Abgeordnete Hannes Kempmann und dessen emsiger Mitarbeiter Zola Sonkosi von ihm wollen. Auch der Übersetzer, wie Baydoun ein Flüchtling aus dem Libanon, ist ihm nicht ganz geheuer. Wenngleich Asylsuchende aus dem nahöstlichen Krisenge biet gegenüber den deutschen Behörden in einem Boot sitzen, ist das Mißtrauen untereinander stets spürbar. Zu tief sind die Gräben und zu hart die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteien in ihrem Heimatland. Die Knastrevolte wird letztlich doch gebrochen. Die fünf Widerspenstigen werden an den Händen gefesselt und für die Fahrt zum Frankfurter Flughafen, wohl um kein weiteres „Unheil“ anzurichten, in den Frauen–Bus gesetzt. Erst im Flugzeug löst man ihnen die Fesseln. Verhöre, Fußtritte und Schläge in Beirut 15. Juli, Nachmittag. Die Middleeast–Maschine landet auf dem Beiruter Flughafen. Bei der Abfertigung gibt es keine Probleme. Mahmoud Baydoun schwant nichts gutes. Mit ein wenig Schmiergeld erreicht er, schneller als die Anderen abgefertigt zu werden. Ein ihm bekannter Flugzeugmechaniker, den er zufällig am Airport trifft, schleust ihn durch einen Nebenausgang des Flughafen–Geländes, von wo aus er einen Bus in die Innenstadt Beiruts, zum Cola–Platz nimmt. Mahmoud Ahmad Mzaouak steigt wie die meisten anderen auch in ein Taxi. Doch schon nach fünf Minuten endet die Fahrt an einer Sperre. Sechs zivile, aber mit Kalaschnikoff–Gewehren bewaffnete Männer kommen heran und zerren Mzaouak und drei andere Zurückgeschobene aus dem Taxi. Mit Tüchern binden die Entführer ihnen die Augen zu, dann werden sie auf einen Jeep gestoßen. Nach kurzer Fahrt landen die unfreiwillig Heimgekehrten im Keller eines ausgebombten Hauses. Mzaouak erinnert sich: „Gleich nachdem man mir die Augenbinde abnahm, schlug mir jemand kräftig ins Gesicht. Ich war mit den Leuten von Amal zwar allein in dem Raum, konnte aber die Schreie der anderen drei hören.“ Weitere Schläge und Fußtritte kamen hinzu. Alle wurden gefragt, ob sie zur Mourabitoun gehörten. Natürlich hat Mzaouak verneint, doch die Entführer schenkten ihm keinen Glauben. Ein zweiter Fluchtversuch Im Gegenteil: Die Amal–Leute berichteten, über seine politische Tätigkeit sowie seine Flucht und den Abschiebetermin unterrichtet gewesen zu sein. Durch die Hilfe eines Amal–Mannes, den Mzaouak persönlich kannte, konnte er sich später befreien. Alte Be kanntschaften aus der Mourabitoun waren es auch, die ihm für den zweiten Fluchtversuch finanziell unter die Arme griffen. Was mit den drei anderen Entführten passiert ist, weiß Mzaouak nicht. Vor seinem neuerlichen Flug nach Berlin hörte er jedoch, daß zwei von ihnen ermordet aufgefunden worden sein sollen. Mahmoud Baydoun hatte mehr Glück. Er ließ sich sofort nach seiner Ankunft am Cola–Platz von einem Freund aus der Stadt in sein Heimatdorf Gazieh fahren. Bis zu seiner zweiten Flucht, diesmal vom zyprischen Larnaka aus, wohnte und schlief er im Kofferraum seines Autos. Die Angst, von feindlichen Milizen aufgefunden zu werden, steht ihm noch heute ins Gesicht geschrieben. Mahmoud Ahmad Mzaouak und Mahmoud Baydoun haben mit allen anderen Zurückgeschobenen, über deren Schicksal noch nichts bekannt ist, eines gemein. Ihre sofortige Rückverfrachtung in die krisengeschüttelte Heimat ist außer der regierungsamtlichen Fremdenfeindlichkeit auf eine Person zurückzuführen: Den vom BGS bestellten Dolmetscher Mouhamad Leila, ein syrischer Kurde, der seit geraumer Zeit die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Leila ist seit Beginn der steigenden Zahl von Flüchtlingen dafür bekannt, deren Asylgründe falsch zu übersetzen. Mit welchem Asylsuchenden man auch spricht, sie berichten übereinstimmend über das merkwürdige Verhalten des gerichtlich vereidigten Übersetzers. Leilas Abneigung gegen die libanesischen Flüchtlinge geht so weit, daß er einigen auch nachweislich falsche Informationen gibt. Etwa gegenüber Baydoun. Dem erzählte er, daß die BRD ein Geheimgesetz verabschiedet habe, wonach überhaupt keine Flüchtlinge mehr in das Land gelassen würden. „Du brauchst also gar keinen Antrag mehr zu stellen“ war die lapidare Auskunft, die der Dolmetscher laut Baydouns Aussage gegeben haben soll. Wenn Flüchtlinge einen Rechtsanwalt verlangen, entgegne ihnen der Dolmetscher: „Das kannst Du doch gar nicht bezahlen.“ Seitdem die taz im Juli zum ersten Mal über die merkwürdige Übersetzungstätigkeit des Syrers berichtete, ist dem BGS und seinem Amtsleiter Günter Nehring dieser Sachverhalt bekannt. Mouhamad Leila übersetzt noch heute im Auftrag des Bundesgrenzschutzes.