25 Stunden ununterbrochen rückwärts im Kreis

■ Der Tamile Justin de Silvie Joseph greift zu dieser ungewöhnlichen Aktion, um auf seine deslolate Flüchtlingssituation aufmerksam zu machen / Die Aufnahme ins Guinness Buch der Rekorde wurde ihm jedoch verweigert

Von Vera Kuenzer

Bremen (taz)– „Ich will zeigen, daß Asylanten nicht faul sind.“ Mit diesen Worten begann der 36jährige Tamile Justin de Silvie Joseph vergangenen Freitag seinen Lauf. 25 Stunden lang wollte er ununterbrochen rückwärts gehen. „Auch wenn die Leute nur kommen, weil sie das gefährlich finden, habe ich dann die Möglichkeit, ihnen von meiner Situation zu erzählen. Sie sollen wissen, wer Silvie ist.“ Etwa 200 Menschen hatten sich auf der Marktweide in Osterholz– Scharmbeck eingefunden, um den Tamilen zu sehen, der auf einem Kreis von fast vier Metern Durch messer einen Fuß hinter das andere setzte. Einen Tag und eine Nacht unterstützten ihn deutsche und tamilische Freunde bei der Aktion, mit der er auf sich und seine Geschichte aufmerksam machen wollte. Der Versuch, jedoch sich ins Guinness Buch der Rekorde eintragen zu lassen, wurde abgelehnt. Wie aus dem Ullstein– Haus in Berlin, wo die deutsche Niederlassung des Rekordbuches sitzt, zu erfahren war, gäbe es schon den Rekor eines Engländers. „Was de Silvie gemacht hat, ist sicherlich auch anerkennenswert“, maßgebend bei einem solchen Rückwärtslauf sei jedoch nicht die (Aus)dauer, sondern Geschwindigkeit und Schnelligkeit. In die Bundesrepublik ist Justin de Silvie Joseph vor drei Jahren gekommen. In seinem Dorf Manna, im Nordwesten der Insel, war der kleine schwarzgelockte Mann vor allem durch seine Wandmalereien bekannt. Diese, so erzählt er, wurden ihm immer dann zum Verhängnis, wenn Mitglieder der tamilischen Befreiungsbewegung ihre Forderungen an Häuserwände gesprüht hatten. Die ausschließlich von Singhalesen besetzten Behörden nahmen danach immer wieder Silvie fest, den sie verdächtigten. Aus Angst um sich und seine Familie floh er schließlich nach Indien, kehrte aber bald darauf aus Sorge um eines seiner Kinder zurück nach Manna. Diese erste Flucht jedoch führte für Silvie zu einer noch schlimmeren Verfolgung, denn er stand nun auf einer schwarzen Liste, die die singhalesischen Behörden über solche Flüchtlinge angelegt hat. „Viele verschwinden dann einfach oder werden erschossen“. Durch Zufall konnte er nach der Warnung eines Freundes den Soldaten entkommen, die ihn verhaften wollten. Im Dschungel lebte er dann zwei Monate und erlebte mit, wie sein Dorf niedergebrannt wurde. Mit der Hilfe von Verwandten gelangte Silvie schließlich von Colombo aus nach Ostberlin und von dort in die Bundesrepublik. In den Briefen seiner Frau, die er regelmäßig für amnesty international übersetzt, verfolgt er die Situation in seiner Heimat: die Reihe der ermordeten Freunde und Verwandten verlängert sich von Brief zu Brief, seine Frau weiß nicht, ob sie und die vier Kinder den nächsten Tag in ihrem Dorf erleben werden, das ständig bombardiert wird. In Osterholz–Scharmbeck lebt er seit zwei Jahren. „Die Deutschen haben Angst vor uns Fremden.“ Das ist die Erfahrung, die Silvie tagtäglich auf den Straßen der Kleinstadt macht. „Sie sehen mich wie ein Tier, aber ich möchte als Mensch angesprochen werden, ich möchte Freunde gewinnen.“ Um aus der Anonymität herauszutreten und sich eine Stimme zu verschaffen, griff er zu dieser spektakulären Aktion. Mit seinem Asylbegehren tritt Silvie seit Jahren auf der Stelle - um sich hier als Mensch artikulieren zu können, mußte er rückwärtslaufen. Bis zum Samstag nachmittag, wo er erschöpft, aber nicht entmutigt, unter dem Applaus von 200 tamilischen und deutschen Freunden seinen Lauf beendete.