Hamburger Kesel macht Schule

■ In der Mainzer Innenstadt hielt die Polizei stundenlang Nato–Demonstranten fest / Erkennungsdienstliche Behandlung

Von Sabine Giehle

Mainz (taz) - Nach Beendigung einer friedlichen Demonstration in der Mainzer Innenstadt kam es am Dienstagabend zu der Mainzer Variante des Hamburger Kessels. Etwa 70 Personen wurden bei strömenden Regen mehrere Stunden von der Polizei auf einer der Hauptverkehrsstraßen von Mainz festgehalten oder, wie es der Einsatzleiter der Polizei, Herr Kranz, nannte, in „körperlichen Gewahrsam“ genommen. Anschließend verbrachten die Demonstranten mehrere Stunden in Polizeifahrzeugen, bis sie schließlich auf verschiedene Polizeiinspektionen in Mainz und Wiesbaden gebracht wurden. Die letzten Festgenommenen wurden nach über zehn Stunden um 4.30 Uhr morgens aus dem Wiesbadener Polizeipräsidium entlassen, nachdem sie bis zu fünf Stunden in einem Gefangenentransporter eingesperrt waren. Anlaß der Demonstration war die bundesweit fast unbemerkt gebliebene Tagung „Atlantic Treaty Associatioon“ (ATA), einer Pro pagandaorganisation verschiedener nationaler Gesellschaften der NATO–Mitgliedsstaaten. Hypernervös hatte sich die Mainzer Polizei offenbar auf Auseinandersetzungen eingestellt, als die „Koordination der Mainzer Friedensinitiativen“ anläßlich des Treffens der NATO–Oberen eine Demonstration angekündigt hatte. Aus verschiedenen Landesstellen Hessens waren 1.000 Polizeibeamte nach Mainz gebracht worden, um am frühen Dienstagabend die Atlantische Gesellschaft im Mainzer Hilton–Hotel vor den rund 400 Demonstranten zu „schützen“. Jede Seitenstraße, die zum Hilton führte, war von Polizeieinheiten abgeriegelt. Ein Polizeihubschrauber überflog ununterbrochen den Demonstrationszug. Als sich nach Auflösung der Demonstration annähernd 100 auf den Weg zum Bahnhof machten, kesselte die Polizei diese Gruppe mehr als zwei Stunden ein. Beteiligte Polizeibeamte erklärten Pssanten, daß die Demonstration bisher friedlich und ohne Sachbeschädigungen vonstatten gegangen sei. Man nehme die Leute nur „präventiv“ fest, da sie beabsichtigten, die „Veranstaltung im Hilton–Hotel zu stören“. Nachdem aber später die herbeigezogenen Richter und Staatsanwälte dieser „Ingewahrsamnahme“ ihren richterlichen Segen nicht erteilen wollten, formulierten die Polizeibeamten die Begründung für die Massenfestnahme um. Die Festgenommenen hätten sich des Widerstands gegen „Vollstreckungsbeamte“ und der Sachbeschädigung schuldig gemacht. In der Nähe der Demonstration seien immerhin Sprühdosen gefunden worden. Auf den Polizeiinspektionen wurden die Festgenommenen, darunter etliche Schüler, erkennungsdienstlich behandelt, also vermessen, fotografiert, gewogen und Fingerabdrücke genommen. Am frühen morgen schließlich wurden sie entlassen. Auf einer Pressekonferenz begründete die Mainzer Polizeiführung gestern ihre Aktion. Bei Zweidritteln der Demonstranten hätte es sich um Personen aus dem „RAF–Umfeld“ gehandelt. Ein Drittel von ihnen habe man schon einmal „identitätsbehandelt“ und das andere Drittel habe man als stadtbekannte Störer schon lange einmal erfassen wollen. Zum Beweis für die Gefährlichkeit der noch minderjährigen Demonstranten führte die Polizei gestern auf der Pressekonferenz ein kleines Medizinfläschchen vor. Dabei soll es sich um einen Baustein für einen Molotow– Cocktail handeln.