„Die Todesstrafe ist doch keine Lösung“

■ Nach dem erneuten Attentat in der Pariser Rue de Rennes wächst die Verunsicherung der Pariser Bevölkerung Die Reaktionen schwanken zwischen Hilflosigkeit und der Forderung nach Todesstrafe für Terroristen

Aus Paris Antje Bauer

Die rote Leuchtschrift läuft hektisch von links nach rechts: Reflet d orient, Objet d art, Tapis - ..Widerschein des Orients, Kunstartikel, Teppiche - darunter hängen indische Kleider, Tücher, stehen Vasen, Räucherstäbchen... Die Glasscherben vor dem zerstörten Kaufhaus sind rot von geronnenem Blut. Vor zwei Stunden haben hier zwei - angeblich schnurrbärtige - Männer ein Päckchen aus einem fahrenden Auto auf den Bürgersteig geworfen, mitten in die Menge, die kurz vor Ladenschluß noch einkaufen wollte. Fünf Men schen haben dabei den Tod gefunden, über 50 sind verletzt. Paris, am 17. September 1986, nach dem sechsten und blutigsten Attentat innerhalb einer Woche. An den Eisengittern direkt vor dem zertrümmerten Geschäft steht eine Familie und betet. „Wir beten“, sagt der ältere Mann, „damit die Seelen der Menschen, die hier gewaltsam zu Tode gekommen sind, ihre Seelenwanderung aufnehmen können, damit sich ihr Geist reinigt.“ Vor den Absperrungen stehen aufgeregte Menschen und diskutieren. „Es hilft nichts,“ sagt ein junger Mann, der weiß wos langgeht, „man muß jetzt in der U– Bahn immer unter die Sitze schauen.“ Und er habe das präzise Gefühl, daß morgen wieder eine Bombe explodieren werde. Auf meine Frage, wie denn seiner Ansicht nach auf die Anschläge reagiert werden müsse, antwortet er entschieden: „Man muß die Todesstrafe wieder einführen. Man muß diesen Terroristen, der im Knast sitzt, umlegen.“ Auf meinen Einwand, daß Ibrahim Abdallah, der mutmaßliche FARL–Chef, es ja sicher nicht gewesen sei, weil er ja im Knast sitzt, meint er: „Das macht nichts. Dadurch werden die anderen gewarnt.“ Die anderen Passanten sind sich da nicht so sicher. „Was soll man denn machen“, sagen sie hilflos, „die Todesstrafe ist doch auch keine Lösung.“ Zwei Jugendliche stehen vor dem zerstörten Laden. „Das war genau, als unsere Schule aus war. Die ist hier um die Ecke. Die Leute gehen dann immer hier vorbei. Da sind bestimmt Mitschüler von uns dabei“, sagen sie bedrückt. Und zu einem Polizisten gewandt: „Das Schlimme ist, daß das wieder auf die Farbigen zurückfällt. Das freut doch die Rassisten!“ Inzwischen gehört die Straße den Straßenfegern. Grüne Putzautos mit der Aufschrift: „Proprete de Paris“, Sauberkeit von Paris, schippen die roten Scherben und die geborstenen Papierkörbe in einen Container, es ist laut, das Fernsehteam von „Antenne 2“ nutzt seine Video–Geräte zum Fußballschauen. Die Leuchtreklame im zerstörten Laden sagt unerbittlich: Widerschein des Orients - Widerschein des Orients... Premierminister Chirac ruft den Sicherheitsrat zusammen, aus dem Libanon melden sich die beiden Brüder von Ibrahim Abdallah, deren Fahndungsplakate seit heute an Pariser Wände geklebt werden. Wieviele Bombendrohungen wird es morgen geben, wieviele U–Bahnlinien werden wegen Bombenalarm gesperrt sein?