Sparen auf Kosten der ausländischen Bürger

■ Mittels des Steuersenkungsgesetzes von 1985 spart die Bundesregierung pro Jahr satte 40 Millionen Mark zu Lasten ausländischer Bürger Ein Rüsselsheimer Komitee will nun dagegen Klage beim Bundesverfassungsgericht erheben / Die IG Metall sagte Rechtshilfe zu

Von Klaus Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Das im Juni 1985 vom Deutschen Bundestag verabschiedete „sogenannte Steuersenkungsgesetz“ ist ein „harter Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die demokratische Grundordnung“, so Veli Ocaklioglu. Er ist Vorsitzender des Ausländerbeirates der Opelstadt Rüsselsheim und einer der fünf gewählten Sprecher des „Komitees zur Unterstützung der Verfassungsbeschwerde gegen das Steuersenkungsgesetz“. Der Vorwurf geht in erster Linie an die Adresse der Bundesregierung. Ohne den Verlust von Wählerstimmen fürchten zu müssen, habe sich die CDU/CSU/ FDP–Regierung vor mehr als einem Jahr über dieses sogenannte „Steuersenkungsgesetz“ jährlich weitere 40 Millionen DM zur Haushaltskonsolidierung „verschafft“, „auf Kosten von 375.000 Kindern, deren Eltern als Mitbürger in der Bundesrepublik leben und arbeiten“. In dieser Woche stellte Dr. Hans Heinz Heldmann, der Anwalt des Komitees, die Verfassungsbeschwerde in Frankfurt der Öffentlichkeit vor. Der Rechtsanwalt wählte den direkten Weg zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe, weil er die entstandene Diskriminierung für so bedeutend hält, daß der normale Instanzenweg über Finanzgerichte nicht ausreiche. Zwei Verfassungsgebote sieht er als grob verletzt an: Den Gleichbehandlungsgrundsatz und den „Schutz der Familie“ nach Artikel 6. Stellvertretend für alle Betroffenen klagt Heldmann im Namen des türkischen Lehrers Yücel und des Marokkaners Fennoui, die seit 14 beziehungsweise 24 Jahren in der Bundesrepublik leben. In der Sache geht es um ein Gesetz, das zwar den ausländischen Familien, deren Kinder in der Bundesrepublik leben, geringfügige Steuerer leichterungen brachte, das jedoch die Familien, deren Kinder im Ausland leben, sowie die ausländischer Arbeitnehmer, deren Ehefrauen nicht mit in die Bundesrepublik kommen wollten (oder durften), kraß benachteilige. Zwischen 150 DM und 300 DM monatlich gehen den 150.000 betroffenen Steuerpflichtigen aufgrund dieses „Steuersenkungsgesetzes“ verloren, denn seit Anfang 1986 darf auf den Lohnsteuerkarten nicht mehr die Anzahl der Kinder, sondern lediglich die Anzahl der Kinderfreibeträge eingetragen werden. Doch Kinderfreibeträge, so will es das Steuersenkungsgesetz, gelten von diesem Jahr an nur noch für Kinder, die in der Bundesrepublik leben. Alle im Ausland lebenden Kinder, selbst wenn sie im Ausland nur studieren, läßt diese Neuregelung außen vor. Darüberhinaus wird die steuerlich begünstigte Steuerklasse III nur noch dann vergeben, wenn beide Ehepartner in der Bundesre publik gemeldet sind. Ein Beispiel: Der ausländische Arbeiter dessen Ehefrau und vier Kinder im Ausland leben, hat ein Brutto–Jahreseinkommen von 40.000 Mark. Nach dem neuen Gesetz zahlt er 5.560 DM Lohnsteuer; würde er berhandelt wie ein ausländischer Arbeitnehmer, dessen Fammilie in der Bundesrepublik lebt, wären es 2.352 DM. Doch damit nicht genug: Durch den geringeren Netto–Lohn verringert sich auch das Arbeitslosengeld, Kinderzuschüsse bei der Nichterwerbsfähigen–Rente entfallen ebenfalls. Daß diese Steuerpraxis mit dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes der Bundesrepublik kollidiere, meinten bereits Anfang 1986 türkische und marokkanische Arbeitnehmer in Rüsselsheim. Zusammen mit dem Ausländerbeauftragten der Stadt riefen sie zur Gründung des Verfassungsbeschwerdekomitees auf, das in Karlsruhe gegen das Steuersenkungsgesetz intervenieren soll. Unterstützt von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen, wurde das Komitee aktiv. Darüberhinaus appellierte der Ausländerbeirat der Stadt Rüsselsheim an die Regierung des Landes Hessen und an die Fraktionen im Bundestag, gleichfalls Klage beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. Doch während die Grünen uneingeschränkte Unterstützung anboten, war die offizielle Reaktion der SPD nach Angaben des Komitees „freundlich passiv“. Wichtigster Bündnispartner ist im Moment die IG–Metall, die allen Mitgliedern, die den Instanzenweg gehen, Rechtshilfe zugesagt hat. Gemeinsam mit der Regenbogenfraktion will die Initiative jetzt eine Resolution des Europa–Parlaments erreichen. Auch an den Gang zum Europäischen Gerichtshof wird gedacht. EG–Verordnung 1612 verbietet die steuerliche Benachteiligung von Ausländern.