: Der Deal ums Asyl - was nun?
■ Mit Zugeständnissen und finanziellen Bonbons beim Umweltschutzabkommen hat die Bonner Regierung die neue Grenzsperre für Flüchtlinge zwischen Ost– und Westberlin erkauft / Ein Bericht von Vera Gaserow
Langsam aber sicher schottet die Bundesrepublik ihre Grenzen für Flüchtlinge aus der Dritten Welt ab. Mit der neuen Regelung der DDR für die aus dem Ostteil der Stadt nach West–Berlin kommenden Asylsuchenden - ab 1. Oktober darf nur noch durch, wer ein Visum der BRD hat - glaubt die Bundesregierung, die Zahlen der Immigranten auf die Hälfte drücken zu können. Es wird immer schwieriger werden, einen Asylantrag zu stellen, da Fluglinien, andere europäische Länder und die Botschaften der Bundesrepublik in ie Abwehrmaßnahmen einbezogen werden. Regierungssprecher Ost mußte am Freitag bei der Beantwortung der Frage, ob die Neuregelung an der West–Berliner Sektorengrenze auf die CDU oder die SPD zurückgehe, passen. Am Vortag hatte Kohl wärend des Kinderfestes erste Meldungen über den Deal noch als „Gerüchte“ bezeichnet, doch am Freitag sagte Ost, Kohl sei seit längerem auf dem laufenden gewesen.
Johannes Rau wußte es schon am Donnerstagmittag: „Eine bedeutende Entlastung in der Asylproblematik“ sei das, was sein „Unterhändler“ Egon Bahr nun zum Stolz der Sozialdemokraten mit der DDR über die Schließung des Asyl–“Schlupflochs“ Berlin ausgehandelt hat. Tatsächlich hat sich die Bundesrepublik mit Hilfe der DDR auf diese Weise von dem weltweiten Flüchtlingsdrama nicht nur entlastet, sondern sich dieses Problems fast gänzlich entledigt. Was im einzelnen die Konsequenzen dieses Deals mit der DDR sein werden, läßt sich einen Tag nach der Ankündigung dieser Vereinbarung nicht mit Sicherheit sagen, das wird allein die Praxis der DDR– und der sowjetischen Fluggesellschaften zeigen, die ab 1. Oktober nur noch die Flüchtlinge nach Ost–Berlin befördern wollen, die ein Anschlußvisum für die Bundesrepublik haben. Aber schon jetzt gibt es Zahlen und Erfahrungen, aus denen sich ablesen läßt, daß die Bundesrepublik ab Herbst dieses Jahres für Asylbewerber auf legalem Wege kaum noch zu erreichen sein wird. Als die DDR sich im Frühsommer 1985 zum ersten „Asyldeal“ mit der Bundesregierung einließ und tamilischen Flüchtlingen ohne bundesrepublikanisches Visum die Durchreise durch die DDR verbot, sank die Zahl der Asylbewerber aus Sri Lanka rapide. Waren die tamilischen Flüchtlinge 1984 mit 20,9 Prozent in Berlin die stärkste Flüchtlingsgruppe - 4.784 wurden in jenem Jahr offiziell registriert -, stellen sie nach den offiziellen Angaben des Bundesinnenministeriums 1985 nur noch 4,4 Prozent der Asylbewerber in der Bundesrepublik. Über Ost–Berlin erreichte nach bisherigen Informationen seit dem Abkommen mit der DDR kein einziger Tamile mehr die Bundesrepublik. Die, die dennoch die Grenzen des „großzügigsten Asyllands“ erreichten, kamen ohne ein Visum der deutschen Botschaft in Colombo - das für Normalsterbliche auch nicht zu erlangen ist - auf Schleichwegen in die Bundesrepublik: mit gefälschten Pässen aus Indien, über ein anderes europäisches Land, das sie auch nicht aufnehmen wollte, oder sie kauften ein Flugticket in ein anderes europäisches Land und nutzten dann den Zwischenstop auf dem Frankfurter Flughafen zur Stellung eines Asylantrags. Legal wäre keiner von ihnen in die Bundesrepublik gelangt. Ein deutliches Bild geben auch die Zahlen aus Dänemark und Schweden, die schon im letzten Jahr einen solchen „Asyl–Deal“ mit Ost–Berlin geschlossen hat ten. In beiden Ländern ging daraufhin die Zahl aller Asylbewerber um die Hälfte zurück. Über die DDR kam kaum noch jemand über diese skandinavischen Länder. Die, denen die Flucht nach Dänemark oder Schweden dennoch gelang, kamen - pikanterweise - über das „Schlupfloch“ Bundesrepublik. Doch dieses „Schlupfloch“ wird ab 1. Oktober nicht nur den Tamilen, sondern auch Flüchtlingen aus anderen Dritte–Welt–Staaten versperrt sein. Mehr als 54 Prozent aller Asylsuchenden haben bisher nach den Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums auf dem Umweg über die DDR die Bundesrepublik erreicht. Die meisten von ihnen kamen aus dem Iran, dem Libanon und Palästina. Ländern also, aus denen es gute Gründe gibt zu flüchten. Für sie gibt es in Zukunft kaum noch Möglichkeiten, über andere europäische Länder in die Bundesrepublik zu gelangen, denn auch die Nachbarstaaten wie Frankreich, Österreich oder die Schweiz haben ihre Grenze gegenüber Dritte–Welt–Flüchtlingen inzwischen „dicht“ gemacht. Auch der bisher noch funktionierende kleine Ausweg, eine Zwischenlandung in der Bundesrepublik zur Stellung eines Asylantrags zu nutzen, wird in Zukunft kaum noch funktionieren, denn im August hat die Bundesregierung als „flankierende Maßnahme“ beschlossen, daß Fluggesellschaften nur noch Passagiere in der Bundesrepublik zwischenlanden lassen dürfen, die ein Visum für die Bundesrepublik vorweisen können. Und das können nur die allerwenigsten. Geldstrafen bis zu 2.000 DM sollen in Zukunft die Fluggesellschaften bezahlen, die diesen von der Bundesrepublik verordneten Polizeiaufgaben nicht nachkommen. Dennoch werden auch in Zukunft Menschen in Not den Weg in die Bundesrepublik finden. Aber es werden wenige sein, und sie werden einen noch höheren Preis für ihre Flucht zahlen müssen als bisher. Und es werden sich nur noch die Wohlhabenderen unter ihnen dieses Stück miserablen, aber immerhin ein wenig sicheren Lebens im Exil leisten können. Mehr noch als bisher werden sogenannte Schlepper gebraucht werden - und teuer bezahlt werden, die ein Schlupfloch kennen oder erkaufen. Immer häufiger wird der Weg in die Bundesrepublik nur noch mit falschen Pässen möglich sein, was die Flüchtlinge hinterher dem Vorwurf der Kriminalität und der Lüge aussetzt, wenn es um ihren Asylantrag geht. Umdenken in der Asylpolitik Betroffen von den Auswirkungen des Abkommens mit der DDR sind jedoch nicht nur die Leidtragenden, die Flüchtlinge aus den Not– und Krisengebieten. Indirekt betroffen ist auch die Arbeit der politischen und kirchlichen Gruppen und der Wohlfahrtsverbände, die sich in den letzten Jahren und Wochen verstärkt für die Belange der Asylbewerber engagiert haben. Obwohl schon lange erwartet war, daß die DDR der Bundesrepublik eines Tages diese unmenschliche Schützenhilfe leisten würde, bedeutet die jetzt bekanntgegebene Regelung ein Umdenken in der Asyldiskussion. Die Gruppen und Verbände werden jetzt diskutieren müssen, daß man nicht mehr allein das Grundrecht auf Asyl verteidigen kann, wenn es niemanden mehr gibt, der es ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen kann. Auch innerhalb des linken Spektrums wird man ganz konkrete Überlegungen anstrengen müssen, wie man erreicht, daß die, die nicht mehr in unser Land gelangen können, nicht nur aus den Köpfen der „Großen Asylkoalitionspolitiker“ entschwinden, sondern auch nicht aus dem eigenen Blickfeld. Und man wird überlegen müssen, welche praktische, dann oft notgedrungen illegale Hilfe man den Flüchtlingen vor den Grenzen leisten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen