Haste mal ne Mark - Kriegst ne Neue Heimat

■ Gewerkschaftskonzern für nur 50 Millionen Mark verscherbelt / Marktwert der 200.000 Wohnungen: 10 Milliarden / Sozialbindung soll „möglichst“ erhalten bleiben / Käufer bekommt Verlustübernahme zugesagt

Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Der von der taz in der gestrigen Ausgabe exklusiv gemeldete Verkauf der Neuen Heimat an den West–Berliner Geschäftsmann Horst Schiesser wurde gestern durch die gewerkschaftseigene Holdinggesellschaft „Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG“ (BGAG) bestätigt. Nach einer Aufsichtsratssitzung der BGAG hieß es in einer Erklärung, der Verkauf der Neuen Heimat an den Brotfabrikanten (Paech–Brot, Geschi) Schiesser mit seiner Firma „Die neue Gesellschaft“ mbH für Vermögensbildung sei nur die „drittbeste Lösung“ für die Probleme des mit 17 Milliarden DM verschuldeten Wohnungsbaukonzerns. Sie sei aber unter den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen als die „vernünftigste“ anzusehen. Bessere Lösungen seien von Politikern der Regierung aus wahltaktischen Gründen verhindert worden. Der DGB und die Vertreter der Einzelgewerkschaften haben sich gestern in der BGAG–Aufsichtsratssitzung mit den Bedingungen der gigantischen Verkaufsaktion einverstanden erklärt. Danach soll die Neue Heimat, mit Ausnahme der Regionalgesellschaften Nordrhein–Westfalen und Südwest (Hessen), für einen Kaufpreis von 50 Millionen Mark den Besitzer wechseln. In dem Kaufvertrag mit Schiesser sei festgehalten, daß die Sozialbindung für die mehr als 200.000 Wohnungen (Marktwert ca. 10 Mrd. DM) möglichst erhalten werden soll. Die gewerkschaftlichen Aufsichtsräte stimmten dem Verkauf mit der Begründung zu, die krisengeschüttelte Neue Heimat sei ein Faß ohne Boden. Dies wird sie zunächst auch bleiben. Denn die BGAG hat dem Brotfabrikanten Schiesser Verlustübernahmen in Höhe von insgesamt 1 Milliarde DM verbindlich zugesagt - 400 Millionen für 1985 und bis zu 600 Millionen für dieses Jahr. Außerdem hat sich die BGAG verpflichtet, dem neuen Besitzer Horst Schiesser einen Kredit von 100 Millionen Mark zu geben. Darüber hinaus gibt es eine Absichtserklärung, auch für 1987 und 1988 jeweils 100 Millionen an Darlehen bereitzustellen. Fortsetzung Seite 2 Kommentar Seite 4 In der BGAG–Erklärung wird darauf verwiesen, daß die Bemühungen um eine Regionalisierung, d.h. der Verkauf an regionale gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften nur in Nordrhein– Westfalen und Hessen zu erfolgversprechenden Lösungen geführt hätte. Deshalb seien diese beiden NH–Regionalgesellschaften vom Verkauf ausgenommen worden. Die politischen Angriffe hätten dazu geführt, daß das Handtuch geworfen wurde. Über den Käufer Horst Schiesser gibt es nur spärliche Informationen. Auf dem Wohnungs– und Baumarkt ist er bisher nicht hervorgetreten. Seine Firmengruppe, Geschi–Brot Schiesser und Sohn GmbH, die auch einige Tochterfirmen im Ausland einschließt, hat ein Grundkapital von 2 Mio. Mark, der Jahresumsatz wird auf rund 300 Mio. Mark geschätzt. Spezielle Erfahrungen mit der Sanierung notleidender Unternehmen hat Schiesser nach Recherchen der taz nicht. Der Aufsichtsrat der Neuen Heimat wird am 25. September zusammentreten, um über den Verkauf abschließend zu entscheiden. An einer Zustimmung der im Aufsichtsrat vertretenen Spitzenfunktionäre wird nicht gezweifelt. Schiesser soll sich vertraglich verpflichtet haben, die 2.500 Mitarbeiter/innen der zum Verkauf stehenden Regionalgesellschaften zu übernehmen, langfristig sei jedoch ein Abbau auf 2.100 Beschäftigte angestrebt. Bundeswohnungsbauminister Schneider erklärte zu dem Verkauf, der DGB habe sich damit aus der Verantwortung für die Mieter und Geschäftspartner der Neuen Heimat gestohlen. Im übrigen sei die Konkursgefahr nun keineswegs gebannt. Der Bremer Bürgermeister, Klaus Wedermeier (SPD), schimpfte angesichts der langwierigen Regionalisierungsverhandlungen: „So kann der Deutsche Gewerkschaftsbund nicht mit uns umgehen“. Ernst Albrecht (CDU) meinte, er sei „sprachlos“ und das Ganze „riecht schlecht“. Der FDP–Politiker Lambsdorff sprach von einem „panikartigen Ausverkauf“. Der Vorsitzende des NH–Untersuchungsausschusses im Bundestag Hüsch (CDU) erklärte, die Transaktion berühre den Auftrag des Ausschusses nicht. Vertreter von Mieterverbänden äußerten ihre Sorge um den Erhalt der Sozialbindung der Wohnungen. Die taz geht in die Wirtschaft Zum Aufbau eines eigenen Wirtschaftsteils der taz, der Ende September anlaufen soll, sucht die Redaktion Verstärkung. Wir stellen ein: 1 Wirtschaftsredakteurin Wir fordern: Besonderen Blick auf die Binnenwirtschaft und Zukunftsbranchen sowie journalistische Erfahrung, auf daß der taz–Wirtschaftsteil informativ sei und Vergnügen bereite. Wir bieten: Wachstum (der taz–Lohn kann nur steigen), Stabilität (taz bleibt taz), aktive Bilanz (wir schreiben immer mehr als wir wissen). Bewerbungen bitte richten an: taz–Wirtschaftsredaktion, Wattstr.11–12, D–1000 Berlin 65