Die liberale Seele siegt

■ Britische Liberale stimmen auf Antrag der Jung–Liberalen für atomwaffenfreie Verteidigungspolitik / Neue Schwierigkeiten für die sozial–liberale Allianz

Aus London Rolf Paasch

Parteitage der britischen Liberalen sind wie jene neumodischen Gottesdienste, in denen jeder nach seiner Fasson selig werden kann und von lateinischen Phrasen bis hin zur Jazzmusik alles erlaubt ist. Da gibt es liberale Traditionalisten, die gerne darüber spekulieren, was die großen Premiers von Gladstone bis Lloyd George denn heute sagen würden; da gibt es die Mitglieder der christlichen „Kampagne für nukleare Abrüstung“, die Jesus auf die Marschflugkörper angesetzt haben; und da gibt es die Non–Konformisten, vom abgesprungenen Manager bis zum orientierungslosen Späthippie. Eine buntscheckige Herde also, die schon so manchen Hirten zur Verzweiflung gebracht hat. So auch diesmal. Parteiführer David Steel wollte die Woche in Eastbourne dazu nutzen, die anti–nuklearen Verteidigungsvorstellungen seiner Schäfchen zu scheren und sie mit den Sozialdemokraten des Kollegen David Owen in ein Geviert zu treiben. In den meisten anderen Politikfeldern, von der Umwelt– bis hin zur Steuerpolitik, hatte man sich auf einen tragbaren Kompromiß einigen können. Nur das verfluchte Atom, das zivile wie das militärische, spaltet noch die Allianz. Was der „Dritten Kraft“ im britischen Zweiparteiensystem noch fehlte, da waren sich Kritiker und Parteiführung einig, war vor allem eine konsistente und einheitliche Verteidigungspolitik. Während Labour die alternde, atomare Polaris–Flotte ersatzlos versenken will, baut die Regierung Thatcher bereits an der neuen Generation von Trident–U–Booten. Mindestens 15 Mrd. Pfund (45 Mrd. DM) wird die wunderliche Vermehrung der Atomsprengköpfe den britischen Steuerzahler kosten. Die sozial–liberale Allianz will nun irgendetwas dazwischen und nennen das Ganze nach ihrer jüngsten Tour durch die europäischen Hauptstädte eine „minimale europäische Abschreckung“. David Owen schwebt dabei etwa folgendes vor: Man nehme die Rümpfe der bis 1988 von Maggie gebauten Trident–U–Boote, bestücke sie mit französischen Missiles sowie bri tischen Sprengköpfen und halte einen englischen (am liebsten seinen eigenen) Finger am Auslöser. David Steel dagegen weiß noch nicht so recht, wie der europäische Verteidigungseintopf aussehen soll. Aber er hätte ihn gerne mit milderen Abrüstungsgewürzen garniert. Doch seine Schäfchen schissen ihm am Dienstag mitten in die gerade kochende Brühe. Zwei Stunden wogte die Debatte zwischen den rund 2.000 Delegierten hin und her. Die moderaten Liberals forderten eine „engere Zusammenarbeit in der europäischen Verteidigungspolitik“ und einen „effektiveren Beitrag Großbritanniens zur kollektiven Schlagkraft des europäischen Pfeilers der NATO“. So weit, so gut. Doch die friedlichen Oster–Lämmer unter den Delegierten, die Jung–Liberalen wollten mehr. Sie sahen schon im Geiste, wie liberale Überzeugungen, Werte und Prinzipien, ja gar die „liberale Seele“ am Verhandlungstisch mit „Dr. Death“, wie Dr. Owen bei ihnen heißt, verraten würden. Sie wollten den Zusatz: „Vorausgesetzt, eine solche Verteidigungspolitik ist atomwaffenfrei“, mit in die Resolution aufgenommen haben. Und nachdem der letzte Redner vor einem „europäischen Atomwaffen–Berg mit 12 Fingern am Drücker“ gewarnt hatte, ging ihr Wunsch in Erfüllung. Mit 652 zu 625 Stimmen. Mit dem Gesichtsausdruck eines geschaßten Wanderpredigers schaute David Steel in die Röhre und anschließend in die Fernsehkameras. Er ahnte bereits, wie die journalistischen Geier auf seine schutzlosen Herde niederstoßen würden: „Pleite für die Parteiführung“, „Katastrophe für die Allianz“. Der Pfad zu sozial–liberaler Macht nach den nächsten Wahlen wird steiniger.