Rhetorische Verrenkungen um die „stolzeste Errungenschaft“

■ Vortrag auf Humangenetiker–Kongreß plädiert für Gentechnologien und gegen Gefahr des Mißbrauchs / Kloning bedenklich, Eingriffe in befruchtete Eizelle vertretbar

Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) -“Humangenetik und die Verantwortung des Arztes“ lautete der einzige öffentliche Vortrag auf dem „7. Internationalen Humangenetiker–Kongreß“ in Berlin. Prof. Vogel aus Heidelberg, einer der prominentesten Humangenetiker in der Bundesrepublik, betonte in seiner Einleitung die Notwendigkeit eines offenen Austauschs zwischen den Experten und den „verängstigten Laien“. Das Dialogangebot schien jedoch nicht beim Publikum anzukommen: Überall in der Halle machte sich der ätzende Geruch von Buttersäure breit. Vogel äußerte Verständnis für das Mißtrauen und die Ängste. Die Verbrechen der Nationalsozialisten seien nicht vergessen, jedoch sei die heutige Generation der Humangenetiker durch „die Gnade der späten Geburt“ frei von Schuld. Bei aller „Sensibilität für die Gefahren seiner Wissenschaft“ machte Vogel dann doch klar, daß auf allen Gebieten der Genetik weitergeforscht werden sollte. Ethische Bedenken formulierte Vogel lediglich gegenüber dem Kloning (dem Herstellen genetisch identischer Lebewesen) und dem Eingriff in das menschliche Erbmaterial mit dem Ziel, menschliche Eigenschaften zu verändern. Vertretbar sei dagegen die intensive Forschung an der somatischen Gentherapie (Ersatz defekter Gene in den Körperzellen). Auch Eingriffe in die befruchtete Eizelle sind für Vogel unverzichtbar, wenn damit der Erforschung schwerer, bisher unheilbarer Erbkrankheiten gedient wird. Die Genom–Analyse von Arbeitnehmern sei unbedenklich, solange sie dem Schutz des einzelnen vor einem gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz diene. Die allgemeine Propaganda gegen die Gentechnologie sei jedoch gefährlich: schließlich habe die „stolzeste Errungenschaft“ der letzten Jahre in der Humangenetik, die pränatale Diagnostik, zur stetigen Verringerung der Geburt behinderter Menschen geführt. Damit zeige der Arzt auch seine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Jeder Anschein eines „Automatismus“ zwischen pränataler Diagnose und Abtreibung müsse unbedingt vermieden werden.