Politik der Geiselnahme

■ Zur Aktuellen Stunde über den Verkauf der Neuen Heimat

Neben der Kreml–Astrologie gibt es jetzt die DGB–Astrologie. Solange die Vertragsbedingungen mit dem neuen Stern am Unternehmerhimmel, solange die NH–Bilanzen geheimgehalten werden, darf man schließlich deuten. Die gnädigste Version ist immerhin noch, daß der Verkauf an den Bäcker Schiesser ein Zwischenakt ist. Die Taktik könnte sein, mit dieser Brachialprivatisierung die Öffentliche Hand zur Sozialisierung zu zwingen, bevor der anstehende Konkurs unabwendbar sein würde. Eine Taktik, die aufzugehen scheint: Wenn jetzt nach NRW, Hessen, Bremen und Hamburg auch Berlin als erstes CDU–Land die NH–Wohnungen übernehmen will, dann schwimmt der schwarze Peter allmählich zu den CDU–Ländern, dann könnte es so aussehen, als ob beispielsweise Niedersachsen am Bäcker festhalten wolle, als ob da die Ängste der NH–Mieter nicht zählten. Eine möglicherweise erfolgreiche Taktik, aber eine Taktik von mafiosem Zynismus. Dann träfe das zu, was ein CDU–Debatten–Redner gestern sagte: die NH–Mieter würden vom DGB als Geisel benutzt, um Steuermittel zu erzwingen. Das stereotype Argument der SPD gegen die CDU in der aktuellen Stunde war: Scheinheiligkeit. Es ist aber nicht das Problem der Scheinheiligkeit, sondern das Problem der Möglichkeit des Heiligenscheins. Die Neue Heimat hat längst schon die Ängste ihrer Mieter als politisch–psychologischen Aktivposten gegen den drohenden Konkurs eingesetzt. Das Ergebnis ist weit mehr als ein Glaubwürdigkeitsverlust. Das Schweigen der Mitarbeiter nach der Betriebsversammlung, die resignative Bitterkeit der Mieter, der erschreckende Mangel an leidenschaftlichem Protest von seiten der Betroffenen, der kleinen Gewerkschaftsmitglieder zeigt ein fast apathisches Einverständnis, daß mit ihnen auf jeden Fall Schlitten gefahren wird. Die DGB–Führung wird „von unten“ gar nicht mehr an irgendwelchen Ansprüchen gemessen, sie gehört zu denen „da oben“. Der DGB mag mit dem Schießer–Coup die Streikkasse gerettet haben, politisch hat er auf jeden Fall verloren. Klaus Hartung