„Feuer und Rauch fallen vom Himmel“

■ Gegenkonferenz der Anti–AKW–Bewegung über „Reaktorunsicherheit und Ausstieg aus der Atomenergie“ / Alternativ–Wissenschaftler wollen der IAEO die Stirn bieten

Berlin (taz) - Der Weg zum Hörsaal ist von Skeletten gesäumt: Knochengerüste von Giraffe, Elefant, Walroß und anderen Tierchen verzieren das Biozentrum der Wiener Universität, Tagungsort für jene dreitägige Konferenz, die sehr selbstbewußt als „einmalig“, als „unsere Antwort auf die Propagandaveranstaltung der IAEO“ angekündigt worden ist. 38 Organisationen, 200 Teilnehmer aus 13 Ländern, und eine „Auslese der idealistischen Wissenschaftler“ sollen der durch Tschernobyl ausgelösten „gewaltigen Bewegung in Europa und der ganzen Welt“ Ausdruck verleihen. Den Sicherheitsproblemen gehört der erste Vormittag. Neun Referenten sind aufgeboten, sie werden in 135 Minuten erbarmungslos durchgeschleust. Macht für jeden Referenten ganze 15 Minuten Redezeit. Dafür wird mit akademischen Titeln, Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Lebensläufen nicht ge geizt. Jede Mitarbeit an staatlichen Forschungsprogrammen wird auf der Habenseite hervorgehoben. Wissenswertes im Schnelldurchgang Die Wissenschaftler hetzen durch ihre Referate, für Diskussion und Fragen bleibt anschließend eine knappe halbe Stunde. Erdbebengefährdungen, Stahlversprödungen, Evakuierungsprobleme werden angetippt, das Atomprogramm Japans kurz gestreift und die weltweite Pleite bei der Endlagerung, der Reaktor Stade wird zerlegt und der in Cattenom, überhitzte Heizkabel, Notstromdieselaggregate, Containments und Druckkessel werden materialgeprüft und radioaktives Inventar hochgerechnet. Und dennoch: „Das wird hier nie konkret. Die haben doch gar keine Zeit, um ins Detail zu gehen“, macht eine Teilnehmerin aus Gorleben ihrem Ärger über die thematische und personelle Überfrachtung der Veranstaltung Luft. Helmut Hirsch (Gruppe Ökologie Hannover) hat genau 13 Minuten, um seine 700 Seiten dicke Untersuchung über die unterschiedlichen Reaktortypen unter den weltweit 516 AKWs zu erläutern. Das reicht gerade für die Ergebnisse: Es gebe keinen Reaktortyp, der sicherheitstechnisch positiv herausragt, alle seien „verwundbar“, abhängig von komplexen sensiblen Sicherheits– und Hilfssystemen, anfällig für Sabotage und Irrtümer bei Auslegung, War tung und Betrieb. Alle Reaktortypen enthielten in ihrem Kern große Mengen radioaktiver Stoffe, deren sicherer Einschluß nicht sichergestellt sei. Eine Überlegenheit westlicher Reaktortechnik sieht Hirsch sowenig wie alle anderen Referenten. Eindrücklich wird die Mär von der doppelten Sicherheit (Reaktor–Druckbehälter plus Sicherheitsbehälter/Containment) der bundesdeutschen KWU–Reaktoren entzaubert. Wie es um den Druckbehälter als einzigen wirklichen Schutzmantel bestellt ist, analysiert die Wiener Werkstoff–Expertin Ilse Tweer: Zum Gruseln. Die Druckbehälter der älteren deutschen AKWs seien „ohne umfassende Materialuntersuchungen über das Festigkeitsverhalten bei Neutroneneinwirkung“ gebaut worden. Der damals verwendete Stahl werde heute nicht mehr zugelassen, dennoch seien die alten Reaktoren mit z.T. sehr hoher Verfügbarkeit am Netz. Versprödungseffekte, fehlerhafte Schweißnähte, Naht– und Plattierungsrisse - all diese Mängel seien festgestellt worden. Schon Helmut Hirsch hatte in seiner Studie der Behauptung widersprochen, die „Havarie“ von Tschernobyl sei der schlimmste aller möglichen Unfälle gewesen. Der US–Wissenschaftler und Harrisburg–Gutachter Richard Webb bestätigt dies. Nur 3–7 barten Blöcke 400 mal schlimmer sein können. Ein GAU in einem westlichen Reaktor bedeute, so Webb, das Bersten des Druckbehälters durch eine „vulkanartige Explosion“ mit den Folgen einer Verseuchung von bis zu 400.000 qkm. Strahlenschäden durch Tschernobyl Der österreichische Biologe Peter Weish macht im zweiten Forum über Strahlenschäden nochmals klar, daß es keine unschädlichen radioaktiven Dosen gibt, es gebe lediglich eine geringere Häufigkeit von Erbschäden und Krebsfällen bei einer niedrigen Strahlendosis. In dem Unfall in der Ukraine sieht Weish das größte technische Unglück der Menschheitsgeschichte mit vermutlich Hunderttausenden von Krebsfällen in ganz Europa. Der Wiener Wissenschaftler S. Hofmann (Ärzte gegen Atomkrieg) weist auf die große Schwierigkeit hin, die Erhöhung von Krebs– und Leukämiefällen als signifikant und vor allem als Folge von Tschernobyl nachzuweisen. Die Leukämierate werde erst nach 10, die Krebsrate erst nach 30 Jahren ihren maximalen Punkt erreicht haben. Und wie solle man aus den 17.000 jährlichen Krebstoten in Österreich den „Überhang“ durch Tschernobyl herausfinden? Dennoch: Schon die UNO habe in einem Gutachten die Zahl der (Krebs–)Toten durch den Fallout der Atomtests weltweit auf 100.000 beziffert. Trotz dieser bösen Perspektiven gibt es auch etwas zum Lachen, selbst wenn es manchem im Halse stecken bleibt. Zunächst wertet der Wiener Pfarrer Grüner den Unfall von Tschernobyl als logische Konsequenz einer menschenverachtenden Haltung, die sich vor allem in der hohen Zahl an Abtreibungen zeige, dann holt die „tiefgläubige“ Elisabeth Schmitz zu einem biblischen Rundumschlag aus: Tschernobyl und der atomare Untergang seien in den Botschaften prophezeiht worden: Feuer und Rauch werden vom Himmel fallen und die Ozeane verdampfen. Immerhin: Frau Schmitz, die ansonsten mit weißen Kindersärgen und rotweißem Transparent zu demonstrieren pflegt und die Bewegung nervt, sieht noch einen Schimmer Hoffnung: durch Sühnefasten und tägliche Gebete. Die Atomgemeinde hat da ganz andere Empfehlungen. Sie denkt ernsthaft darüber nach, ob man sich nicht prophylaktisch für den Ernstfall Knochenmark entnehmen und einfrieren lassen solle. Auch dies wäre allerdings vergebliche Mühe, denn gerade Tschnernobyl hat gezeigt, daß selbst Knochmarktransplantationen viele Verstrahlte nicht retten können. Zudem seien sie, darauf verwiesen mehrere Referenten, im großen Rahmen niemals durchführbar. Schon die 19 Transplantationen in Moskau (11 Patienten starben dennoch) hätten das Gesundheitssystem der Sowjetunion überfordert. -man–