Suche nach alternativer Asylpolitik

■ Im Berliner Reichstag diskutieren Grüne, Flüchtlingsgruppen und Experten Kontroversen um „Abwehrwaffe“ Grundrecht auf Asyl: Grüne wollen zusätzliches Bleiberecht / DGB hat abgesagt

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Wenige Stunden bevor gestern Abend in Bonn die lang angekündigte Kanzler–Gesprächsrunde mit den Minsterpräsidenten der Länder und den Vorsitzenden der „Altparteien“ in Bonn begann, öffnete der Berliner Reichstag denen die Tore, die der Bonner Asylpolitik Widerstand entgegensetzen wollen. Unter dem Motto „Öffnung der Grenzen - für ein Recht auf Zuflucht“ diskutieren hier auf Einladung der Bonner Grünen und der Berliner Alternativen Liste zwei Tage lang rund 200 Teilnehmer aus den Hauptfluchtländern und aus westeuropäischen Nachbarstaaten über Auswege aus einer immer mehr in die Defensive geratenden Flüchtlingspolitik. Die Diskussionsrunde begann gestern mit einer Expertenanhörung von Juristen, Soziologen und in der Flüchtlingsarbeit Engagierten. Die Suche nach eigenen Perspektiven verlief in einer Atmosphäre von bemerkenswertem Sachverstand. Gegner des Grundrechts auf Asyl hatte man ausdrücklich zu diesem Kongreß nicht eingeladen. Der DGB und der Vertreter des UNO–Flüchtlingskommissars hatten ihrerseits eine Teilnahme an den Diskussionen abgesagt. Man wollte untereinander - durchaus auch kontrovers - beraten, was der immer restriktiveren Asylpolitik der „Altparteien“ entgegenzusetzen sei - einer Politik - der sich in den letzten Wochen auch die SPD immer mehr angeschlossen hat. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Wieland gestern auf der Podiumsdiskussion: „Die Sozialdemokratie macht sich schuldig wie bei der Bewilligung der Kriegskredite“. In den Diskussionen und Arbeitsforen des Kongresses soll es jedoch weniger um die Kritik an den anderen Parteien, sondern darum gehen, „was es mit uns zu tun hat, daß so viele Menschen zu uns flüchten“, so der Grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele in seinem Eingangsreferat. „An unseren Antworten auf die Herausforderung durch die vielen Flüchtlinge und ihre Probleme wird zu erkennen sein, wo wir uns im Nord–Süd–Konflikt einordnen, was aus unserem Internationalismus, unserem Engagement für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung für die Völker der Dritten Welt inzwischen geworden ist.“ Obwohl sich die Teilnehmer dieses Kongresses in ihrer grundsätzlichen Parteinahme für Flüchtlinge sicher einig waren, klangen gestern auch Kontrover sen an, so z.B. die Frage, ob sich die Grünen und die Flüchtlingsgruppen ihrerseits für eine Änderung des Grundrechts auf Asyl starkmachen sollten, da die meisten Flüchtlinge, die vor Bürgerkrieg und Armut fliehen, nicht in die eng ausgelegten Raster von politischer Verfolgung passen. Ein Großteil der Diskussionsteilnehmer warnte jedoch vor einer Aufgabe dieser - wie es hieß - „wichtigen Abwehrwaffe“ Grundrecht auf Asyl. Stattdessen sollte man - wie es die Grünen demnächst in einem Gesetzentwurf fordern werden - zusätzlich zum Artikel 16 GG ein Bleiberecht für die Flüchtlinge garantieren, in deren Flucht die Gerichte keine politischen Motive sehen wollen. Am heutigen Freitag sollen Arbeitsforen u.a. darüber diskutieren, mit welchen rechtlichen und praktischen Schritten gegen das jüngste Abkommen mit der DDR, Flüchtlingen ohne fremde Hilfe kaum noch Zugang zum „großzügigsten Asylland der Welt“ zu geben, vorgegangen werden kann.