Roll on, roll off, roll over

■ Über geographische, spirituelle, Notwehr– und Putativ–Rotation bei den Grünen

Wenige Monate vor der Bundestagswahl wird bei den Grünen an allen Ecken und Enden rotiert: Heinz Suhr ist vom hessischen Bundestagsabgeordneten zum bayerischen Bundestagskandidaten rotiert (geographische Rotation). Trotz aufwendiger PR–Kampagne, bei der er sich eine Woche vor der bayerischen Kandidatenaufstellung telegen in ein Solarmobil setzte, damit zum Bundeskanzleramt und anschließend zur Bundespressekonferenz fuhr, schaffte er allerdings nur den völlig aussichtslosen Platz zwölf in Bayern. Thomas Ebermann ist vom Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten zunächst zum Landesvorstandsmitglied und jetzt zum Bundestagskandidaten rotiert (strukturelle Rotation). Zwei Wochen vor seiner Nominierung beschloß die Landesmitgliederversammlung der Hamburger Grünen: Der Zweck der Rotation „wird durch die sogenannte Quer–Rotation, d.h. die Rotation von Mandat/Amt zu Mandat/Amt, unterlaufen“. Antje Vollmer hat ihre Wiederkandidatur für den Bundestag, diesmal auf Platz eins der NRW–Landesliste, mit einem Appell für „mehr Bescheidenheit“ erreicht (spirituelle Rotation). Ludger Vollmer ist aus dem Fraktionsvorstand der grünen Bundestagsfraktion zurückgetreten, nachdem er in Nordrhein–Westfalen nur den unsicheren Listenplatz zehn wieder bekam (Notwehr–Rotation). Dabei hätten die NRW–Grünen wissen müssen, was sie damit anrichten: In seiner Kandidatenvorstellung hatte Ludger nämlich seitenlange Verdienste im Kampf gegen „die Gefahr eines Kollapses der Weltwirtschaft“ aufgezählt, und drohend angefügt: „Nicht auszudenken, was wir an Vertrauen in der Welt verlören, wenn jetzt alles den Bach runterginge.“ Petra Kelly, die sich der Rotation in der jetzigen Bundestagsfraktion der Grünen mit der Begründung verweigert hatte, sie wolle schließlich für die nächste Periode nicht wieder kandidieren, muß jetzt doch noch mal all die Mühen auf sich nehmen - sie wurde „wirklich sehr gedrängt“ (Putativ–Rotation). In Bayern erhielt sie Platz fünf der Landesliste. Jetzt sagt sie zur taz: „Ich denke selber für mich, acht Jahre sind genug, das ist die Grenze.“ Der taz gegenüber deckte Petra auch einen neuen Fall von Pressezensur in unserem Land auf: „Im englischen Guardian kann man nachlesen, daß meine Termine genauso voll, wenn nicht noch voller gewesen sind (wie die von Otto Schily). Das wird komischerweise unterdrückt hier. Das hat mich schockiert.“ So bleibt die Rotation der löchrige Regenschirm, unter dem realpolitische Amtssicherung und fundamentalistische Scheinheiligkeit Hand in Hand gehen. Nicht der Abschied von der Rotation ist das Unangenehme, sondern die Heuchelei ihrer Apostel. Jürgen Reents, einfach rotierter Grüner (aus der Zeitung der Hamburger GAL).