Volksforum zum Asylrecht in der Konsumzeile

■ Frankfurter Schüler und amnesty international konfrontierten Passanten mit den Problemen politischer Flüchtlinge / Unterricht im Freien sorgte für Wirbel auf der Zeil / Nach wenigen Minuten die ersten Hetztiraden

Aus Frankfurt M. Miersch

Kaum hatte amnesty–Sprecherin Ingrid Kuhlenkampf zum Mikrophon gegriffen, um auf die Parallelen zwischen Judenverfolgung und Ausländerhaß aufmerksam zu machen, schallte es ihr entgegen, „Wir haben schon genug bezahlt!“ Der lautstarke „Volksredner“ war der erste von Hunderten, die am vergangenen Dienstag auf der Zeil ihre Meinung zum Asylrecht zum Besten gaben. Unterstützt von amnesty international hatten über hundert frankfurter Schüler ihren Unterricht in Deutschlands umsatzstärkste Fußgängerzone verlegt, um sich Volkes Stimme in Sachen Asylbewerber anzuhören. Direkt vor dem Haupteingang des Kaufhofs hockten Elfjährige vor ihren selbstgebastelten Verstärkeranlagen und sangen unbeeindruckt von der Zuhörermasse selbstverfaßte Lieder gegen den Ausländerhaß. Andere hatten Wäscheleinen zwischen die Platanen gespannt, an denen Plakate hingen. „Würde Anne Frank in der BRD politisches Asyl erhalten?“ wurde auf einem gefragt. Auf einem anderen, ein Tucholsky–Zitat: „Ein Land ist nicht nur das, was es tut - es ist auch das, was es duldet.“ Provokation genug für viele Vorbeigehende. Die Skateboarder klemmten ihr Brett unter den Arm, die Stadtstreicher ihre Plastiktüten, kamen, hörten zu und lasen. In wenigen Minuten verwandelte sich die Konsumzeile in ein politisches Forum: Menschentrauben, spontane Diskussionskreise, Haßtiraden, Schimpfen, Beleidigungen. Die Schüler mit ihren Casettenrecordern immer dabei. Ihre Aufnahmen sollen im Sozialkundeunterricht ausgewertet werden. Bald hat das Volksforum den eingeladenen Rednern die Schau gestohlen. Während die amnesty– Vertreterinnen, Birgit Plank vom Flughafensozialdienst und Michael Brumlik von der jüdischen Gemeinde, die Asylfrage ausleuchten, fühlen sich etliche berufen, erstmal ihre eigene Meinung kundzutun. Kleinere Schüler müssen auf die bronzene David und Goliath– Skulptur klettern, um noch etwas mitzukriegen. „Die Asylanten verkaufen am Bahnhof Rauschgift“, ist zu hören, oder „die Tamilen können ja auch nach Indien gehen, aber da gibts keine Sozialhilfe.“ Ein Rentner schimpft: „Die Deutschen waren und bleiben Nazis.“ Ein anderer schlägt klassenkämpferische Töne an: „Man soll den Bonzen ihre Villen abnehmen und dort die Asylanten unterbringen.“ Aus dem lautstärkeren und zahlenmäßig überlegeneren „Anti– Asylanten–Lager“ tönt immer wieder derselbe Satz: „Die Asylanten sind faul und verjubeln unsere Steuergroschen.“ Ein alter Grieche, in der Bundesrepublik zu Wohlstand gekommen, stimmt zu: „Wer zupackt, kann es zu was bringen, auch wenn er nur zehn Pfennig in der Tasche hat.“ Rentner, Stadtstreicher, Bank– und Kaufhausangestellte sind auf einmal nur noch Deutsche und halten zusammen. Ein Handelsvertreter, der gerade Mittagspause hat, sorgt sich, „daß die Lehrer ihren Schülern auch klarmachen, daß das hier nicht repräsentativ ist. Das ist der Bodensatz der Gesellschaft, aus dem sich auch die SA rekrutiert hat“. Der „Bodensatz“ putscht sich nicht nur im Ausländerhaß hoch, ein junger Mann wird als Lehrer ausgemacht und kriegt sofort zu hören, was die Anwesenden von solchen Unterrichtsexperimenten halten: Lehrer seien allesamt Faulenzer und vergiften die Kinder mit kommunistischer Propaganda. Benjamin Ortmeier von der Helmholzschule, der den Unterrichtsversuch vorbereitet hat, läßt sich von solchen Ausfällen nicht beirren. Die Idee zu dem Zeil–Projekt ist entstanden, als er mit seinen Schülern das Flüchtlingslager in Eschborn besucht hat. Arbeitsgemeinschaften gegen Ausländerfeindlichkeit probten nach dem Unterricht die Musikstücke und entwarfen die Plakate. Klassensprecher Björn bedauert, „daß man durch solche Aktionen zu wenig Leute erreicht, da müßten die Medien was machen“. Lehrer Ortmeier kritisiert die „Heuchelei“ der Kultusbehörden, die einerseits mit der Schülerausstellung Reklame machen und andererseits keinen Lehrer einstellen wollen, der pakistanischen Schülern muttersprachenlichen Unterricht erteilt. Begründung: Den gibt es nur für Kinder aus Anwerbeländern. Und wie erfahren die Ausländer selbst die Wortgefechte auf der Zeil? Die meisten stehen am Rande und schweigen. Ein argentinischer Student versichert, daß er nach dem Examen sofort nach Hause will. Ein Iraner: „Ich kann das nur schwer verarbeiten. Ich habe Angst gekriegt.“ Er solle nicht so empfindlich sein, rät ihm sein Nachbar. Als die Schüler schon längst wieder im Unterricht sitzen, wird die Debatte unvermindert heftig weitergeführt. Die Zeil bekommt ein ganz undeutsches Flair von Hydepark und italienischem Marktplatz. Aber Politik bleibt Männersache. Die Hausfrauen schieben sich eilig vorbei und kümmern sich um den Einkauf.