Guatemala: Offene Drohungen

■ Die Menschenrechtsorganisation „Gruppe zur gegenseitigen Unterstützung“ (GAM) will die Militärs zur Rechenschaft ziehen, und gerät nun selbst unter Beschuß

Aus Guatemala Ralf Oetzel

Die Mitglieder der „Gruppe zur gegenseitigen Unterstützung“ (GAM) in Guatemala, in der sich Angehörige von „Verschwundenen“ zusammengetan haben, fürchten um ihr Leben seit sie von den Militärs immer deutlicher bedroht werden. In einer Erklärung der Streitkräfte vom 18. September, abgedruckt in der Tageszeitung Prensa Libre, wird der GAM „perverse Verschwörung gegen die Ehre, die Sicherheit und das Prestige der Streitkräfte“ sowie „provozierende Beleidigung und hinterhältige Provokation“ vorgeworfen. In einem Ton, der an die vergangenen Militärregimes erinnert, heißt es in dem Dokument, die GAM folge „internationalen Weisungen“ und ihre Provokationen hätten das Ziel, „sich selbst Märtyrer zu schaffen, so wie es die Ideologen des Kommunismus zu tun suchen“. Der unmittelbare Anlaß für diese Drohungen ereignete sich am Unabhängigkeitstag, dem 15. September, als sich Familienangehörige von Verschwundenen in Trauerkleidung im Festzug hinter einem Block von Soldaten einreihten. Sie wiederholten ihre Forderung nach Aufhebung des Amne stiegesetzes, mit dem sich zu Jahresbeginn die scheidenden Militärs ihre massiven Menschenrechtsverletzungen selbst verziehen.. Die GAM beschuldigt eine Reihe hoher Militärs für die Gewalttaten verantwortlich zu sein. Während des Marsches war es zu heftigen Wortwechseln zwischen Mitgliedern der GAM und Soldaten gekommen. Dabei wurden auch Obstschalen gegen die Uniformierten geworfen. Damit, so argumentieren die Militärs, habe die GAM die Grenze zwischen Mißbrauch der Meinungsfreiheit und Kriminalität überschritten. Mit der Diskreditierung der Militärs würde die GAM sich selbst die Bedingungen schaffen, um aus ihrer Vorsitzenden Nineth de Garcia eine Märtyrerin zu machen. Menschenrechtsexperten in Guatemala fürchten, daß der jungen Aktivistin dasselbe Schicksal wie der GAM–Vizepräsidentin Rosario Godoy de Cuevas widerfahren könnte, die am 4. April des Vorjahres gemeinsam mit einem Bruder und ihrem dreijährigen Sohn tot mit Folterspuren in ihrem Auto aufgefunden wurde. Obwohl die Militärregierung darauf beharrte, es hätte sich um einen Verkehrsunfall gehandelt, sprach nicht nur die GAM, sondern auch Erzbischof Prospero Penados von Mord. Seit der Christdemokrat Vinicio Cerezo als erster Zivilist seit über 16 Jahren an die Regierung gekommen ist, fordert die GAM die Einberufung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Nachforschung nach den „Verschwundenen“. Bei seinem jüngsten Treffen mit der GAM erklärte Cerezo, er werde höchstens eine Regierungskommission unter Ausschluß von Ausländern einberufen. Weil der Christdemokrat jedoch nicht präzisieren wollte, wann diese Kommission zusammentreten soll, besetzten die GAM–Vertreter für eine Stunde den Empfangssaal des Nationalpalastes. Cerezo versuchte die Bedeutung der Angelegenheit herunterzuspielen, indem er darauf hinwies, „daß Ihre Angehörigen wahrscheinlich tot sind. Und ich möchte Ihnen versichern, daß ich Tote nicht wieder auferstehen lassen kann“. Nach diesem Faux–pas machte sich der Präsident schließlich noch zum Sprecher der Militärs, die auch unter der Zivilregierung noch das Sagen haben: „Wenn sie weiter die Militärs provozieren, dann bedeutet dies, in die Vergangenheit zurückzukehren.“ „Nineth de Garcia hat sich in eine verwundbare Position gebracht“, erklärte am folgenden Tag der Armeesprecher Fernando Cifuentes Herrera vor der Presse. Und das gleichzeitig in der Zeitung veröffentlichte Kommunique schließt mit der Drohung: „Wenn Nineth de Garcia oder einem ihrer Anhänger etwas zustößt, so tragen sie selbst und ihre Hintermänner die Verantwortung“.