Sudan: Wer baut den Arabern die Paläste?

■ Weil die neue Regierung in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum die islamischen Fundamentalisten nicht vor den Kopf stoßen möchte, gibt es im Südsudan keine Verhandlungslösung / Die Guerilla fordert einen laizistischen Staat gegen die islamisch–arabische Dominanz / Neues Bündnis der nicht–arabischen politischen Gruppen

Von Peter Niggli

Vier Monate nach dem Amtsantritt der neuen, von Zivilisten geführten sudanesischen Regierung unter Sadiq al–Mahdi sind die Hoffnungen auf ein baldiges Ende, des Bürgerkrieges im Süden zerronnen. Das seit dem Sturz des langjährigen Diktators Nimeiri im Frühjahr 85 andauernde Hin und Her von Friedensinitiativen und militärischen Scharmützeln ist zu Ende, die Zentralregierung in Khartoum und die gegen arabisch–islamische Dominanz im südlichen Landesteil kämpfende SPLA–Guerillaarmee haben sich erneut den Krieg erklärt. Unter frenetischem Beifall der Abgeordneten aller Lager erklärte der Premier Ende August die „Mobilisierung des ganzen Volkes“ gegen die Rebellenbewegung; die unter der Führung des ehemaligen Offiziers und Agraringenieurs John Garang operierende „Südsudanesische Befreiungsfront“ ihrerseits hat den Süden zum militärischen Sperrgebiet erklärt und zur Einstimmung eine Zivilmaschine mit 60 Insassen abgeschossen. Weder die zahlreichen Verhandlungsangebote der Regierung noch ein persönliches Treffen zwischen Mahdi und Garang am Rande der Blockfreien–Konferenz in Harare konnten dauerhafte Gespräche in Gang bringen, obschon der Kampf der SPLA den Oppositionspolitikern des Nordens unter Nimeiri noch legitim und unterstützenswert erschien. Hat die Guerillaarmee, zur Zeit eine der stärksten auf dem afrikanischen Kontinent, kein Interesse an einem Waffenstillstand? „Wir kämpfen nicht, um zum Essen eingeladen zu werden“, weist Guerillaführer Garang neugierige Reporterfragen in dieser Angelegenheit zurück. Doch die wirklichen Gründe für die Renitenz der Rebellen liegen tiefer: Die SPLA hat weder die von Militärs aus dem Norden geführte Übergangsregierung nach Nimeiris Sturz noch die im Frühjahr 86 aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Koalitionsregierung Sadiq al–Mahdis als legitime Repräsentanten des sudanesischen Volkes anerkannt. In ihren Augen sind die Früchte der Volksbewegung gegen Numeiri zuerst durch die Armee und dann durch die beiden großen traditionellen nordsudanesischen Parteien usurpiert worden. Auch die Wahlen waren, was Kandidaten und Durchführbarkeit anbetraf, in erster Linie eine Angelegenheit des Nordens. Für die Einstellung ihres Krieges stellte die SPLA deshalb immer eine Reihe von Vorbedingungen, deren wichtigste die Abschaffung der islamischen Sharia–Gesetze und die Einrichtung eines laizistischen Staates war. Obschon dies vor Nimeiris Sturz die Forderungen der gesamten Opposition waren, wagte es die Übergangsregierung nach dem Sturz des Diktators nicht, die Sharia anzutasten. Lediglich Nimei ris Schnellgerichtshöfe und schon verhängte Amputationsstrafen wurden suspendiert. Alkoholkonsum hingegen wurde und wird weiterhin durch öffentliches Auspeitschen bestraft. Islamischer Expansionismus Die Führer des Militärrats, welcher bis 1985 die oberste Staatsautorität repräsentierte, hingen an der Vorstellung des Sudans als eines „Vorpostens der arabischen, islamischen Nation im Herzen des afrikanischen Kontinents“. Und der heutige zivile Präsident Sadiq al–Mahdi hat diese Ängste als handfeste politische Zwänge geerbt. Sein Koalitionspartner, die „Democratic Unionist Party“, flirtet, um ihre politische Programmlosigkeit zu verwischen, seit Monaten mit den gutorganisierten islamischen Fundamentalisten, die in den Wahlen überraschend ein Fünftel der Parlamentssitze gewannen. Sadiq al–Mahdi verpflichtete sich gleich zu Amtsantritt, Nimeiris Sharia erst dann abzuschaffen, wenn eine neue „gerechte islamische Gesetzgebung und Verfassung“ eingeführt sei. Die einzige Konzession, die Sadiq al–Mahdi an die 30 Prozent der sudanesischen Bevölkerung, die animistischen oder christlichen Glaubens sind, vorsieht, ist eine Beschränkung der spezifisch islamischen Strafgesetze auf die mehrheitlich islamischen Gebiete, d.h. auf den ganzen Nordsudan. Dies ist ein klarer Rückschritt im Vergleich zum Abkommen von Addis Abeba von 1972, mit welchem der erste südsudanesische Krieg beendet werden konnte. Damals wurde das Prinzip der Trennung von Staat und Islam anerkannt. Gleichzeitig versuchen islamische Kräfte ihren Einflußbereich, auch nach dem Amtsantritt der neuen Koalitionsregierung, auszudehnen. So ist in den südsudanesischen Städten eine von den Fundamentalisten ins Leben gerufene „humanitäre Organisation“ eifrig daran, Koranschulen, Moscheen und islamische Wohltätigkeitsinstitutionen aufzubauen. In der südsudanesischen Hauptstadt Juba ensteht gegenwärtig mit kuwaitischer Finanzierung ein islamisches Zentrum, dessen Gigantismus sich nicht durch die dünne eingewanderte islamische Bevölkerungsschicht, wohl aber durch erhoffte, zukünftige Bekehrungserfolge erklären läßt. Anders als in Schwarzafrika wird der Islam im Sudan als Sache und Kultur der „arabischen Nation“ vorgetragen. Aber auch wenn der Islam mehr als 60 Prozent der sudanesischen Bevölkerung umfaßt, so ist arabisch nur für knapp die Hälfte aller Sudanesen Muttersprache, und nur die wenigsten der arabisch sprechenden Völker des Sudans können und wollen eine „arabische Herkunft“ für sich reklamieren. Unter diesen Bedingungen kann über ein „islamisches Staatswesen“ schwerlich plebiszitär oder demokratisch entschieden werden. Ein pluralistischer Sudan müßte bewußt Konzessionen an Minderheiten machen. Mit ihrer Forderung verbindet die SPLA deshalb die Vorstellung, der „afrikanischen“ Identität des Sudan zum Durchbruch zu verhelfen. Ihrer Analyse zufolge konzentrierte sich bisher die politische und wirtschaftliche Macht dieses multi–ethnischen Staates in den Händen der schmalen, arabisierten Elite aus dem Gebiet rund um die Hauptstadt Khartoum. Diese benutzte den Islam als ideologischen Kitt, um herrschaftsfähige Parteien auch auf dem Lande zu verankern, wobei alle Randgebiete des Landes im Süden, Westen und Osten systematisch vernachlässigt wurden. Wirklicher politischer Fortschritt ist nach den Vorstellungen der SPLA nur möglich, wenn die Macht neu verteilt wird und dabei die Bedürfnisse dieser meist nicht–arabischen Regionen repräsentiert würden. Seit 1985 existiert ein loses Konglomerat aus fast allen südsudanesischen Parteien unter dem Namen „Rural Solidarity“, welches die politischen Vorstellungen der SPLA übernommen hat. Von einem Machtblock kann aber vorerst noch keine Rede sein. Trotzdem haben SPLA und „Rural Solidarity“ in Khartoum bereits hysterische Reaktionen ausgelöst. Nordsudanesische Politiker warnten vor „rassistischen Anschlägen“ auf die „arabische Identität“ des Landes, welche einer „negro–afrikanischen Übermacht“ den Weg ebnen wollten. Beim kürzlichen Empfang Ghaddafis in Khartoum rief Premier Mahdi alle arabischen Staaten auf, „die sudanesische Armee zu bewaffnen und das sudanesische Volk zu stärken in seinem Kampf für die Fahne des Islam und für die Einführung der göttlichen islamischen Gesetze.“ Damit rückt Sadiqs Rhetorik die Einführung einer islamischen Verfassung in die Nähe eines „heiligen Krieges“, womit er unversehens und wohl taktisch nicht bedacht nicht nur Garang, sondern allen Nicht–Arabern und Nicht– Moslems den Kampf ansagt. Solche „Fehler“ und „Versprecher“ haben sich in der letzten Zeit gehäuft und die darauf folgenden „Klarstellungen“ und „Dementis“ für die Südsudanesen an Überzeugungskraft verloren. Doch die hitzigen Agitationsveranstaltungen des Nuba–Priesters und wichtigsten Politikers im Westsudan, Philip Abbas Aboush, der auch mit der Rural solidarity verbunden ist, sprechen vielen aus dem Herzen: „Wer putzt die Straßen der Araber?“ brüllt er in seinen Wahlveranstaltungen. Und: „Wir!“ schreien Tausende seiner tiefschwarzen Anhänger zurück. „Wer sind die Diener in den Häusern der Araber?“ „Wir!“ „Wer baut den Arabern die Paläste?“ „Wir!“ „Und wer hat kein Dach über dem Kopf und kein Haus für seine Familie?“ „Wir! Wieder wir!“.