„Keiner redet mehr von Klassenjustiz“

■ Zwanzig Jahre „linke“ Anwaltschaft - von der APO bis heute / Volksanwalt statt Robin Hood des Rechts / Am Wochenende diskutierten republikanische Anwältinnen und Anwälte in Berlin ihr Selbstverständnis / Fazit: „Stimmung gedämpft optimistisch bis deutlich resigniert“

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - Sie erledigen die leidigen Knöllchen wegen Falschparkens, sie schlichten und fechten Wohngemeinschaftsquerelen aus, wenn der Hauptmieter ab sofort alleine wohnen will, sie sind zur Stelle, wenn sich staatlicher Strafanspruch gegen Demonstranten und Krawallanten aller Art richtet. Sie, das sind die „netten Gegenüber“ am Schreibtisch, von denen der alternative Zeitgenosse hofft, daß er/sie voll auf seiner Seite steht, die „linke“ Anwältin, der „linke“ Anwalt. Nun hat auch diesen Berufsstand die Bilanzdebatte - 20 Jahre nach dem Aufbruch - erreicht. Wer es noch nicht wußte, weiß es spätestens nach dem 2. Republikanischen Anwältinnen– und Anwältetag, den am Freitag und Samstag rund 300 Advokaten/innen (darauf wird Wert gelegt) bestritten: Die Zunft ist realistisch geworden, aber durchaus hoffnungsfroh. Selbstbewußt definierte Joachim Perels, Redakteur der Kritischen Justiz die neue „Rolle der linken Anwaltschaft“. „Sie steht im Spannungsfeld einer machtgestützten Funktionalisierung des Rechts und der - geschichtlich neuen - Ausbildung einer demokratischen Gegenkultur auch in der Justiz.“ Was das praktisch bedeutet, erläuterte der Berliner Strafverteidiger Matthias Zieger:“Den Genossenanwalt gibt es nicht mehr, statt dessen den Volksanwalt, die Justiz als Kampfinstrument von unten gegen oben ist nicht mehr gegenwärtig“. Es liege allerdings an den Anwälten selbst, meinte Zieger, wenn keiner mehr von der Klassenjustiz rede. Was nun den „linken“ Rechtsbeistand ausmacht? Im seltensten Falle ist er noch Mitglied eines „Kollektivs“. (Nur eine Berliner Anwaltspraxis scheint seit 12 Jahren „ohne Chef“ auszukommen). Der gute linke Anwalt blufft nicht, betrügt seinen Mandanten nicht und trägt Verantwortung für ihn „auch über das rein Juristische hinaus, ohne ihn zu bevormunden“. Kurz, Anwälte wollen nicht einfach ein „Miethirn“ sein, Anwältinnen nicht gleich „sozialer Mülleimer“. Ein hehrer Vorsatz, denn auch die vielen Praxen und Kanzleien leiden unter der Konkurrenz, auch wenn keiner der „Anwaltsschwemme“ das Wort reden möchte. Gleichwohl fordert man die Diskussion einer Standeskuh, die Abschaffung des Werbeverbots. Verdeckt und versteckt läuft der Wettbewerb ohnehin. Für die meisten war deshalb die Frage, „verdient der Anwalt/die Anwältin Geld oder Vertrauen? mit der Ersetzung des „oder“ durch ein „und“ schon beantwortet. Von einem „Robin Hood des Rechts“ wollten nur noch wenige Puristen etwas wissen. Der alte Streit über die Verteidigung von Vergewaltigern wurde nicht fortgesetzt und die linken Schwarz–Weißkategorien in den Mottenschrank verbannt. Unter den Mandanten der APO–Anwälte findet man deshalb heute Wirtschaftskriminelle genauso wie „Arbeitnehmer“. „Manche Mieter verhalten sich übler als die Vermieter“, wurde konstatiert und damit das Recht auf freie Mandantenwahl proklamiert. Für den Bereich des „bewaffneten Staatsapparates“, eines nach wie vor dominierenden Feldes linker anwaltlicher Praxis, stellte Prof. Jürgen Seifert einen 7 Punkte Katalog auf: Er reichte von der Rückkehr zu Opas Polizei über die Entwaffnung und Entmummung bis zur Vorstellung eines polizeilichen Dienstleistungsunternehmen ohne V–Leute und Geheimdienste. Eine alternative, eine neue Polizei mochte man zwar nicht aufs Schild heben, doch seitdem auch die Grünen die „Sicherheitsbedürfnisse der Bürger“ ernst zu nehmen begännen, intensiviere sich die Diskussion darüber. „Das Recht ist eben ein zivilisatorisches Minimum, hinter dem man nicht in die einfache Unmittelbarkeit von harmonischen Sozialbeziehungen zurückfallen kann“, hatte Joachim Perels seinen Vortrag zu Recht beendet.