Von der Mühsal der Vernunft

Der einzig wirklich spannende Punkt auf dieser Bundesversammlung in Nürnberg war der: würde es den Grünen gelingen, aus der Realität der Wahl eine Chance zu machen, würde es ihnen gelingen, sich zu einer Wahlaussage vorzukämpfen? Im grünen Jargon hieß das: würde es zu einem „strömungsübergreifenden“ Beschluß kommen? Ein mühseliger Schritt, dessen Qual Ralph Füchs (Bre men) richtig umriß: nicht mehr „in der Bunkermentalität unsere Identität bewahren.“ Noch schwebten insgeheim Reste des genius loci in der Nürnberger Frankenhalle: Schließlich hatte am selben Ort zuvor die SPD eine großartige Revue der Geschlossenheit inszeniert. 28 Anträge Schon Monate vor der grünen Bundesversammlung war grünen Politikern klar geworden, daß das Spiel, sich über die Koalitionsfrage oder Bündnisaussage zu streiten und zu definieren, endlich abgebrochen werden mußte, um überhaupt zu einem offensivem Wahlkampf zu kommen. Die Grünen durften sich nicht länger über ihr Verhältnis zur SPD definieren. Die Positionen - Koalition, Tolerierung, „kritische Unterstüt zung“, Opposition - ließen sich nicht vereinigen. Jeder Vorschlag, eine mögliche Regierungsbeteiligung mit Korsettstangen, dh. mit „Knackpunkten“ ideologisch abzusichern, schaffte neue Knackpunkte. So lagen denn dem Parteitag allein 28 Anträge zur Bündnisfrage vor. Im Vorfeld der Bundesversammlung gab es den Versuch einer „strömungsübergreifenden“ Übereinkunft. Die scheiterte an den kleinen Eitelkeiten. So kam dann, von Antje Vollmer initiiert und von NRW–Landesvorstand und -Kandidaten unterstützt, der Vorschlag eines Briefes an „unsere Wählerinnen und Wähler“ ins Spiel. Ein Brief, der die grünen Inhalte zwar beschwört (dabei bewußt auf die „Knackpunkt–Sprache“ verzichtet), sich im wesentlichen aber auf zwei politische Aussagen konzentriert: die Niederlage der Grünen im Januar bedeutet einen Schritt in „die geschlossene Gesellschaft der Machtverwalter“; die Grünen wollen den Machtwechsel, ohne eine Option für Bündnis oder Nicht–Bündnis auszusprechen. Heftiges Flügelschlagen Die Spannung dieses Samstags war nun, ob solch eine Adresse an den Wähler akzeptiert würde. Oder ob die Versammlung unter heftigem Flügelschlagen dem Berliner Antrag von Sellin/ Köppl, der zwischen Realo– und Fundamentalo–Position rochiert, zustimmen würde. Oder ob ein Flügel obsiegen würde. Um grüne Interna kurz auszubreiten: die Realos hatten in ihrem Wiesbadener Treffen zwar versucht, eine Position zu definieren, hatten aber trotz heftiger Suche nach Kompromißfähigkeit nichts zustande gebracht. Da der NRW– Brief plötzlich plausibel schien, aber offenbar als zu pathetisch und auch ein bißchen zu fundamentalistisch klang, fabrizierte Kleinert kurz einen zweiten Realo–Aufguß - zur Empörung der NRW– Leute. Mit dieser zusätzlichen Irritation begann die Debatte. Wie debattiert man 28 Anträge? Das hieß erst einmal eine Stunde Geschäftsordnungs–Debatte. Politische Komik Der Vorschlag war, die Anträge in vier Töpfe zusammenzufassen, gewissermaßen nach abfallender Realo–Skala. Protest. Es sei undemokratisch. Köppl setzte noch einen fünften Topf durch. Redezeit für die verbliebenen 23 Anträge jeweils zehn Minuten. Es wurden sechs Stunden. Vollständig lassen sich die Antragsdebatten nur im Jahrbuch für politische Komik referieren. Die Masse der Anträge selbst machte den Delegierten klar, wie sehr die Partei auf die SPD, hoffend oder ablehnend, starrte. In den Begründungen zeigte sich häufig die Einsicht, daß eben alle Situationen nach dem 25.1.87 nicht vorweg zu nehmen sind. Selbst fundamentalistische Anträge argumentierten mit realistischen und sehr oft pessimistischen Einschätzungen grüner Chancen. Der Griff nach den „Knackpunkten“ wurde mehr und mehr als ein fatales Selbstmißtrauen wahrgenommen, der Ruf, „die selbstzerstörerische Bündnisdebatte“ zu beenden, nahm an Gewicht zu. Kleiner Schritt Michael Stamms Votum war exemplarisch: er beschimpfte Kleinert, Schily, Fischer als Strategen der „Verdummung“, um dann beim erlösenden Marx–Zitat zu landen: „ein wirklicher praktischer Schritt ist besser als tausend Programme“. Die Versammlung wollte raus aus der Bündnisdebatte, aber nicht auf dem ständig wiederkehrenden Weg von Antrag W 17: Die Debatte schlicht beenden. Ein Ergebnis sollte sein. So schwamm Antjes Brief an die Wähler allmählich nach oben. Ende der Antragsdebatte nach sechs Stunden. Dann leistete sich das Präsidium, das im übrigen brillant und gutgelaunt war, die basisdemokratische Farce einer Generaldebatte von nur einer Stunde. Und das war die eigentliche Aussage des Parteitages. Alle Anträge fielen mit großer bzw. deutlicher Mehrheit durch. Die Delegierten votierten insgesamt für die Beendigung der Bündnisdebatte, für die Beendigung der Flügelkämpfe um die Koalitionsfrage. Allein die Adresse an die Wähler/innen von „Antje u.a.“ erhielt eine Mehrheit. Die Delegierten beschlossen, keine Chance vorweg zu opfern. Es war eine Niederlage aller Flügelkämpfer und insbesondere für den Bundesvorstand. Auch für den Antrag Trampert/Ebermann. Erschöpfung, Erfolg, minimale Geschlossenheit. Wenns die Berliner nicht gegeben hätte. Sie konnten den rauschenden Untergang ihres Antrages nicht ertragen. Köppl definierte diesen Brief zum Leitantrag und das hieß Eröffnung der Debatte über Zusätze. AmSonntag, am Schluß durften die Taktiker noch einmal zu kleinen Stilübungen antreten. Klaus Hartung