piwik no script img

„Ivan der Schreckliche“ aus dem Todeslager Treblinka

■ In Israel soll jetzt einem mutmaßlichen ukrainischen SS–Schergen der Prozeß gemacht werden / Parallelen zum Eichmann–Prozeß / Anklage hat Schwierigkeiten mit den Beweisen

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Unter der Anklage, mit einem ehemaligen ukrainischen SS–Schergen identisch zu sein, der unter dem Namen „Ivan der Schreckliche“ bekannt ist, überreichte die israelische Staatsanwaltschaft in Jerusalem gestern dem Bezirksgericht eine Anklageschrift gegen John Demjanjuk. Nach einer halbjährigen Vorbereitung beschuldigt die Staatsanwaltschaft Demjanjuk der Verbrechen gegen das jüdische Volk und legt ihm Kriegsverbrechen zur Last. Nach dem hier bestehenden Gesetz gegen Naziverbrecher müßte Demjanjuk - falls ihn das Jerusalemer Gericht unter Vorsitz des Obersten Richters Dov Lewin im Rahmen der Klage für schuldig befindet - zum Tode verurteilt werden. Das Gerichtsverfahren soll Ende Dezember im Kongreßsaal des „Hauses der Nation“ in Jerusalem beginnen, wo Sicherheitsmaßnahmen wie beim Eichmann– Prozess vor 25 Jahren und eine große Beteiligung der Öffentlichkeit zu erwarten sind. Der Direktor der internationalen Abteilung der Staatsanwaltschaft, Jona Blattman, leitet das Team der Kläger, und die Verteidigung Demjanjuks ist in Händen seines amerikanischen Anwalts Mark OConnor. Der Angeklagte wurde im Februar nach Israel ausgeliefert, nachdem der gebürtige Ukrainer die Nachkriegsjahre in den Vereinigten Staaten verbracht hatte. Die Verteidigung wird vor allem bestreiten, daß John Demjanjuk mit dem Angeklagten „Ivan der Schreckliche“ aus dem Todeslager Treblinka identisch ist. „Ivan“ Demjanjuk soll als ukrainischer SS–Gehilfe jüdische Lagerinsassen vor ihrer Vergasung mißhandelt und verstümmelt, Kindern den Schädel eingeschlagen haben, und ansonsten für das „Funktionieren“ der Gaskammern verantwortlich gewesen sein. Einige der ungefähr fünfzig von der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen sollen „aus Sicherheitsgründen anonym bleiben“. Ein ehemaliger, jetzt 80jähriger SS–Mann, der zusammen mit „Ivan“ im Vernichtungslager Treblinka „Dienst tat“ und John Demjanjuk identifiziert haben soll, soll seine Zeugenaussage in der Bundesrepublik machen. Ungefähr zehn israelische Zeugen, die zu den wenigen Überlebenden des Lagers Treblinka zählen, werden ebenfalls ihren Beitrag zur Identifizierung Demjanjuks leisten. Jedenfalls behauptet die Staatsanwaltschaft, jetzt genügend Beweise für die Identifizierung des Angeklagten zu haben. Sie hofft noch darauf, daß sowjetische Behörden Israel das Original eines Ausweises zur Verfügung stellen, den Demjanjuk, als er von den Nazis zum SS– Helfer ausgeblidet wurde, bekam. Das Verfahren hier, 45 Jahre nach John Ivan Demjanjuks Verbrechen im Dienste der Nazi–SS in Osteuropa, ist allerdings problematisch. Eichmann war ein anderes Kaliber und stand während der Verhandlung zu seiner Nazi–Vergangenheit, während Demjanjuk nichts mit dem Ivan von Treblinka zu tun haben will. Von der SS hatte er sich anwerben lassen, so behauptet er, um bessere Überlebenschancen als andere Kriegsgefangene zu haben. Auch die Erfahrensten unter den israelischen Polizei–Offizieren konnten John Demjanjuk nicht zu den erforderlichen Geständnissen bewegen: Monatelange Verhöre brachten nichts, und schließlich überließ man den Fall dem Justiz–Ministerium zur Entscheidung. Angeblich hat der amerikanische Verteidiger eine Reihe von Zeugen, die John Demjanjuks Version seines Werdegangs, bestätigen. Israels wohl letzter Naziverbrecher–Prozeß droht ein höchst peinliches Fiasko zu werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen