Ein Wiener in der Hölle

■ Qualtinger, der dicke, wehmütige Grantler, ist tot

Es war ein bißchen ruhiger umihn geworden in letzter Zeit. Früher war er immer gut gewesen für Auf– und Ausfälligkeiten. Mit Carl Merz hatte er den „Herrn Karl“ erfunden, den schlechtgelaunten, stets menschenfeindlichen Grobian - eine bitterböse und manchmal doch überraschend zärtliche Satire auf die Wiener Volksseele. Qualtinger galt als Original, als Markenzeichen: Der dicke, wehmütige, immer etwas angetrunkene Grantler, dem nie was paßte und der urplötzlich aggressiv und gefährlicdh wirken konnte. In Interviews präsentierte er sich nachdenklicher: Ein Künstler mit höchstem Wirkungsbewußtsein, ein wütender Antifaschist, ein trotziger Philanthrop. Er war, wenn irgend jemand, der Nachfolger des großen Nestroy: Schauspieler, sein eigener Hausautor, Sänger und hinreißender Rezitator. Er hat Karl Kraus auf Schallplatte gelesen - und er hat in der Joseph Roth–Verfilmung „Das falsche Gewicht“ einen tragisch scheiternden Angestellten der österreichisch–ungarischen Monarchie gespielt. Altmodisch war er und seiner Zeit voraus: „k.u.k.“–Haupt– und Staatsmelancholiker mit geheimen und selbstironisch beobachteten Sehnsüchten nach „die oide Zeit“ - und: ein Gesamtkunstwerk, ein Superstar, der die Identität von Kunst und Leben lange vor Beuys Theorie verwirklicht hat. Den Deutschen hat er - ein wahrlich genialisch kühnes Unternehmen - ihren effektivsten Theoretiker um die Ohren gehauen: Eine Lese–Tour präsentierte Helmut Qualtinger mit Hitlers „Mein Kampf“. Unbearbeitet. Er las es einfach. Laut und angemessen dämlich. Ein paar alte Nazis haben ihn mißverstanden und begeistert dem Text applaudiert. Das habe ihn, sagte er im Deutschen Fernsehen, dann doch ein wenig irritiert. Vor einer Woche kam er mit Gelbsucht ins Krankenhaus, gestern ist er, 57jährig, gestorben. In Wien natürlich. Dort und überall, wo man ihn verstehen konnte und wollte, ist es wieder ein bißchen ruhiger geworden. Klaus Nothnagel