D O K U M E N T A T I O N „Man verliert jedes Zeitgefühl“

Aussage von Pablo Diaz am 9.5.1985 im Prozeß gegen die Junta–Mitglieder der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Pablo Diaz: Am 21. September 1976 um vier Uhr früh ungefähr hielten vier Wagen vor der Tür. Ich schlief noch, dann hörte ich Lärm und Schläge an der Tür. Es ging alles sehr schnell. Sie drangen ins Haus ein, es waren vermummte Männer in Uniformhosen, normalen Pullovern und mit Gewehren in der Hand. Sie griffen mich, warfen mich auf den Boden mit dem Gesicht nach unten, fesselten mir die Hände und legten mir eine Augenbinde an. Dann holten sie meine Eltern und meine Schwester, die sich auch auf den Boden legen mußten. Sie haben das Haus durchsucht und mir eine Pistole in den Nacken gedrückt.... Den Nachbarn draußen schrien sie zu: „Rolläden runter oder wir schießen!“ Dann fuhren wir sehr schnell durch die Stadt bis zu einem Ort, den ich später als das Konzentrationslager Arana identifizierte. Dort stellten sie mich an eine Wand. Dann haben sie mir eine neue durchsichtige rote Augenbinde angelegt und mich in einem kleinen Zimmer mit grellem Licht angestrahlt. Ein Mann hat gesagt: „Du hast irgendeinen Grad in der Guerillaorganisation.“ Er fragte mich, was in der Schule passiert sei wegen dem Kampf für die Schülerermäßigung. - Später haben sie mich weggeschleppt und öfters wiedergeholt. Ich wußte nicht, ob Tag oder Nacht war. Das konnte man nur an den nächtlichen Folterungen feststellen. Wenn man die Schreie der Frauen hörte, wußte man, daß Nacht war. - Dann haben sie mich in ein kleines Zimmer geholt, mich ausgezogen und mich auf eine Art Feldbett gebunden. Ich habe geschrien: „Wo bin ich?“ Und sie sagten mir: „Wir werden dir eine Lektion geben, die du nicht vergißt.“ Sie haben mir die Lippen, die Geschlechtsteile und das Zahnfleisch mit Stromstößen verbrannt. Es roch nach verbranntem Fleisch. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Man verliert jedes Zeitgefühl. Richter D Alessio: Wie alt waren Sie? Pablo Diaz: 16 Jahre. ... Sie holten mich immer wieder und sagten mir: „Du wirst dich da nicht mehr einmischen.“ Dann gaben sie mir Stromstöße. Der Schmerz war so groß, daß ich ihnen alle möglichen Namen sagen wollte. Da sagte einer: „Du spielst nur. Bring mir die Zange!“ Dann spürte ich einen Ruck am Fuß und einen so starken Schmerz, daß ich sie bat, mich zu töten. Sie brachten mich in die Zelle. Ich konnte nicht mehr gehen, denn sie hatten mir einen Zehennagel herausgerissen. Einmal steckten sie mich mit anderen zusammen, und es kam ein Priester, der von Erschießungen sprach und mich fragte, ob ich beichten wolle. Dann haben sie mich zusammen mit anderen an eine Wand gestellt. Ich hörte, wie Mädchen weinten, einige ohnmächtig wurden und ein Mann sagte: „Es leben die Montoneros!“ Dann krachten Schüsse. Ich erwartete, daß irgendwo aus mir Blut fließen würde, daß ich tot sei. Ich war es nicht. Es dauerte nur eine Sekunde, aber die war ewig! Dann sagten sie: „Diesmal habt ihr noch Glück gehabt!“ und zu dem, der „Es leben die Montoneros“ gerufen hatte, sagten sie, „aus dir machen wir Hackfleisch.“ Stark gekürzte Fassung aus El Diario del Juicio, Nr. 3, 11.6.1985. Die Zeugenaussage gilt als bewiesen und wurde in die Begründung des Urteils vom Dezember 1985 im Prozeß gegen die Junta–Mitglieder der Militärdiktatur (1976 bis 1983) aufgenommen.