I N T E R V I E W „Wir wollen die Wahrheit wissen“

■ David Campora von der nationalen Leitung der Tupamaros Uruguays zu den Plänen der Regierung, die Militärs zu amnestieren David Campora trat 1968 den Tupamaros bei, der Stadtguerilla von Uruguay, die zunächst breiten Erfolg hatte, aber 1971 - ein Jahr vor der Machtübernahme der Militärs - zerschlagen wurde. Im Frühling 1971 wurde er verhaftet, ein halbes Jahr später gelang ihm die Flucht. Aber schon im April 1972 wurde Campora wieder festgenommen und blieb ohne Gerichtsurteil in Haft, bis er 1980 aufgrund einer breiten Solidaritätskampagne freikam. Heute ist er in der nationalen Leitung der MLN, wie sich die Tupamaros, die heute politisch legal arbeiten, offiziell nennen.

taz: In Argentinien hat die Regierung Alfonsin die Exponenten der Militärdiktatur vor Gericht gestellt. In Uruguay haben die Militärs nach zwölf Jahren Diktatur im März 1985 die Macht an den gewählten zivilen Präsidenten Sanguinetti abgegeben. Werden sich die Generäle vor Gericht verantworten müssen? David Campora: Die „Colorados“ (Regierungspartei) wollen eine totale und uneingeschränkte Amnestie für alle Menschenrechtsverletzungen zwischen 1962 und 1985, für alle Verbrechen, ob sie nun von Militärs, Polizisten oder zivilen Kommandos begangen wurden. Der Vizepräsident sagte sogar öffentlich, daß die Vergewaltigung von Frauen - und die Militärs haben viele vergewaltigt - ein Mittel war, um an Informationen ranzukommen, also um die Subversion zu bekämpfen, und deshalb müßten auch diese Verbrechen unter die Amnestie fallen. Mit ihrem Amnestiegesetz ist die Regierung nun vorerst gescheitert. Was will die Opposition? Die „Blancos“ (Nationale Partei) akzeptieren die totale Amnestie, wie sie die Regierung vorschlägt, nicht. Sie wollen die Amnestie auch, aber in abgeschwächter Form. Und der „Frente Amplio“ (Mitte– Links–Bündnis) ist prinzipiell gegen das Amnestievorhaben der Regierung. Zum Projekt der Blancos hat er offiziell noch nicht Stellung bezogen. Und die Tupamaros? Ein Teil der Linken hat ja die Losung ausgegeben: Gerechtigkeit und Strafe! Wir, die Tupamaros, halten diese Losung für maximalistisch. Sie ist abstrakt, inhaltslos. Wir sind sicher, daß die Militärs nicht bestraft werden, und vielleicht werden sie nicht einmal vor Gericht gestellt. Wir verlangen etwas Konkreteres, Unmittelbareres. Wir wollen die Wahrheit wissen. Was ist geschehen? Sie sollen ganz einfach erzählen, sie sollen sagen, wen sie alles getötet haben, wie sie sie getötet haben, wer wen gefoltert hat und wie sie sie gefoltert haben. Zunächst wollen wir die Tatsachen wissen. Das ist das mindeste, was man verlangen kann. Und es ist auch das meiste, was man verlangen kann. Denn wenn man die Wahrheit erfährt, wenn man die Tatsachen in aller Breite bekannt macht, ist es mit dem Ansehen, dem Prestige der Militärs vorbei, total vorbei. Wie wollt ihr die Wahrheit erfahren? Wir verlangen, daß die aktuellen Verbrechen, d.h. die Entführungen, Verschleppungen, aufhören. Es gibt „verschwundene“ Kinder, die nicht getötet wurden. Das ist ein aktuelles Verbrechen: Heute sind sie noch nicht erschienen, heute werden keine Ermittlungen eingeleitet, um zu erfahren, wo sie sind. Heute verhindert man diese Ermittlungen. Viele Kinder wurden damals Familienangehörigen von Militärs übergeben, von uruguayischen und argentinischen Militärs. Wir verlangen also ganz konkret, daß sie uns die Kinder zurückgeben, und wir verlangen, daß sie uns die Gebeine der „Verschwundenen“ zurückgeben. Wir wollen sie selbst beerdigen. Wir wollen die Kinder und wir wollen die Knochen. Und die Wahrheit. Das Gespräch führte Thomas Schmid