Die Zeit der Trauer in Südafrika ist vorbei

■ 300.000 Bergarbeiter streikten in Gedenken an die 177 schwarzen Opfer des Goldminenunglücks / Anklagen gegen Rassismus und Kapitalismus / Gewerkschaft macht Unternehmen für den Tod der 177 schwarzen Bergarbeiter der Goldmine verantwortlich

Von Hans Brandt

Johannesburg (taz) - Fast 300.000 Bergarbeiter legten am Mittwoch die Arbeit nieder zum Andenken an die 177 Opfer des schwersten Goldminenunglücks in der Geschichte Südafrikas vor zwei Wochen. Außerdem kam es in anderen Industriezweigen zu Streiks, zu denen der Kongreß südafrikanischer Gewerkschaften (COSATU) aufgerufen hatte. Wie der Tag in der Unglücksmine Kinross selbst begangen wurde, blieb jedoch bis Redaktionsschluß unklar. Journalisten wurden nicht zugelassen. Allerdings wurden in der Nähe von Kinross tausende von Chemie–Arbeitern von der Polizei auseinandergetrieben, als sie eine Gedenkfeier abhalten wollten. Die 177 Toten hatten giftige Gase eingeatmet, nachdem ein als gefährlich bekannter Schaumstoff Feuer gefangen hatte. „Sie starben, während sie arbeiteten, um die Bosse dick zu machen. Sie starben, beim Ausgraben jenes Goldes, das Bothas Gewehre bezahlt“, hieß es in einer Erklärung von COSATU. „Es gab keinen Grund dafür, daß diese Männer sterben mußten“, sagte Beyers Naude, Gene ralsekretär des südafrikanischen Kirchenrates, bei einer von COSATU in Johannesburg veranstalteten Gedenkfeier. Das Leben eines Schwarzen werde nicht für wertvoll genug gehalten, sagte er. „Doch ist ein Manager in der Chefetage wertvoller als ein Arbeiter tief unter der Erde?“ Diese Versammlung zeigte vor allem jedoch die unter Gewerkschaftsmitgliedern weitverbreitete Wut über das Kinross–Unglück. Laut Widerstandslieder singend trugen Minenarbeiter einen schwarzen Sarg in den Saal, wo die Gedenkfeier abgehalten wurde. Auf dem Sarg klebende Poster trugen das Motto: „Sicherheit vor Profit“ und in Sprechchören forderten die Anwesenden: „Nieder mit dem Kapitalismus“. Redner machten Kapitalismus und Rassismus für den Tod der Kumpel verantwortlich. „Es ist der Rassismus, der die weißen Bosse den Wert des Lebens eines schwarzen Arbeiters vergessen läßt“, sagte Paul Nkuna, führendes Mitglied der Bergarbeiter Gewerkschaft NUM. „Deshalb ist es wichtig, daß die Arbeiter die Kontrolle über alle Produktionsmittel übernehmen“. Auch Jay Naidoo, Generalsekretär von COSATU, betonte, daß das Kinross–Unglück vor allem die Auswirkungen des Systems der freien Marktwirtschaft demonstriert habe. Doch die Zeit der Trauer sei vorüber. „Wir sind hier, um unser Engagement im Kampf gegen die Apartheid zu erneuern“, sagte Naidoo. „Wir wollen uns befreien von den Ketten des Hungers, der Apartheid und der wirtschaftlichen Ausbeutung.“ Diese und andere Gedenkfeiern sind die ersten derartigen Veranstaltungen, die seit Verhängung des Ausnahmezustandes vor mehr als drei Monaten möglich gewesen sind. Dabei ist eine Veränderung im Tenor der Reden sehr auffällig. Während noch vor wenigen Monaten meist die Rede von nationaler Befreiung war, scheint die Betonung tiefgreifender wirtschaftlicher Veränderungen in Südafrika wichtiger zu werden.