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SPD–Abtrünnige in Biblis und Hanau

■ In Biblis verweigern Genossen den Wahlkampf, in Hanau die Schließung der Atomfabrik / Gemeinsames Votum mit CDU / Volker Hauff soll „Überzeugungsarbeit“ leisten / Grüne: „formaljuristisches Scheinargument“

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - „Wir wollen gegenüber unseren Wählern und gegenüber den Arbeitnehmern im Kernkraftwerk glaubwürdig bleiben“, meinte der Vorsitzende des SPD–Ortsvereins Biblis in der vergangenen Woche. Prompt folgten jetzt die Mitglieder - zum Schrecken des SPD–Landesverbandes Hessen - der „Aufforderung ihres Vorsitzenden Wolter, der Mutterpartei das Engagement im Bundestagswahlkampf zu verweigern: Die Mitgliederversammlung der Ortsbezirke Biblis, Nordheim und Wattenheim beschloß de facto den Bundestagswahlkampfboykott, denn was jahrelang „richtig gewesen“ sei, könne nicht von heute auf morgen falsch werden. Den Bibliser Genossen weht vor Ort der heiße Wind der Zeitgeschichte ins Gesicht. Nach dem Nürnberger Ausstiegs–Beschluß der Bundespartei gelten die Sozialdemokraten in der AKW–Gemeinde als „Umfaller“. Mit seinem Vorstoß wollte Ortschef Wolter - „im Interesse der Arbeitsplätze“ - der Wählerschaft signalisieren, daß die Biblis–SPD „nicht wortbrüchig“ werde. Daß die Jungsozialisten diese Entscheidung als „Verrat“ geißelten und die „Solidarität mit der Gesamtpartei“ forderten, änderte nichts mehr an der Tendenz des Beschlusses. Zwar soll die letztendliche Entscheidung über die Wahlkampfbeteiligung den einzelnen Ortsbezirken des Ortsvereins vorbehalten bleiben, doch die Bezirke - und daran zweifelt in Biblis niemand - stehen hinter ihrem Vorstand. Ohnehin sei ein Wahlkampf ohne die Unterstüt zung des Ortsvereinsvorstandes „völlig undenkbar“. Wie der Srecher der Hessen– SPD, Hans Zinnkann, der taz auf Anfrage mitteilte, werde der Landesverband „auf gar keinen Fall zu administrativen Maßnahmen greifen“, um die renitenten Bibliser Genossen auf Linie zu trimmen. Die SPD Hessen teile im Gegenteil die „erheblichen Sorgen um die Arbeitsplätze“, die die SPD Biblis zu dieser „bedauerlichen Entscheidung“ bewogen hätten. Wie Zinnkann weiter erklärte, werde der Spitzenkandidat der Hessen–Liste für die Bundestagswahl, Volker Hauff, am 16.10 Biblis besuchen und dort für einen „Stimmungsumschwung“ kämpfen. Zinnkann: „Ich hoffe, daß auch in Biblis letztendlich der Wille, die konservative Bundesregierung abzulösen, obsiegen wird.“ Doch den hessischen Genossen steht - abgesehen von Biblis - weiterer Unbill ins Haus. In der „nuclear–city“ Hanau haben die Genossen der Rathausfraktion, gemeinsam mit den Christdemokraten, indirekt für die Erhaltung der Hanauer Atomfabriken votiert. SPD und CDU lehnten gemeinsam einen Antrag der Grünen ab, der die Schließung der Brenne–lementefabrik RBU zum Inhalt hatte. In der Debatte, so Elmar Diez (Grüne/Hanau), habe sich die SPD auf eine „formaljuristische Scheinargumentation“ zurückgezogen und sich so - „ohne klar Stellung bezogen zu haben“ - unisono vor die Atomfabriken gestellt. Mit dem Appell: „Jetzt Nürnberg verwirklichen und aus der Plutoniumwirtschaft aussteigen“, so Diez, seien die Grünen gegen die „SPD–Mauer der Ablehnung“ gelaufen.

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