Milliarden–Konzept mit „Sozial–Touch“

■ Schiesser präsentiert sein Sanierungskonzept für die Neue Heimat / Alle müssen mitmachen: Banken, Staat, Mieter / Erste Maßnahme: NH schreibt sich jetzt grün

Aus Hamburg Florian Marten

Als Horst Schiesser gestern naßgeschwitzt und lächelnd um Punkt fünf vor zwölf (symbolischer Beginn der Pressekonferenz) das kleine Sitzungszimmer im Parterre der Neue Heimat–Zentrale betrat, wartete eine optische Überraschung auf die massenhaft angereisten Journalisten: Statt wie bisher im sozialdemokratischen Rot leutchtete der NH– Schriftzug in frischem Grün von der Stirnwand. Was Schiesser dann mitzuteilen hatte, hört sich weniger originell an: „Ich bin mir der Herausforderung dieser Übernahme völlig bewußt. Ich bin davon überzeugt, durch unternehmerische Leistung diesen Konzern zu sanieren.“ Das soll genauso geschehen, wie von der Neuen Heimat ergebnislos versucht: - Die Firmenorganisation soll gestrafft werden. Der Firmensitz bleibt Hamburg, die Regionalgesellschaften bleiben erhalten. - Die Sozialbindung der Woh nungen soll erhalten werden. Der Eigentümer–Wechsel ändere daran nichts: „Die Frage war nicht Schiesser oder DGB, sondern Sanierung oder Konkurs.“ - Durch sogenannte Wohnumfeldverbesserungen und Investitionen in den Wohnungsbestand sollen leerstehende Wohnungen vermietet werden, - Die neue NH will unbebaute Grundstücke abstoßen. Schiesser forderte die Kommunen auf, denen die meisten dieser Flächen früher gehörten, sie zu anständigen Preisen zurückzukaufen. - Die Betriebskosten sollen radikal gesenkt werden. Wichtigster Punkt: „Es geht nur mit Hilfe unserer Gläubiger, der Banken“. Schiesser bemüht sich derzeit, Einzelgespräche mit den größten Gläubigern zu vereinbaren, um die Front der Banken aufzubrechen. Mit Gesprächen rechnet er für die zweite Oktoberhälfte. Ein wirklich detailliertes Maßnahmenkonzept hat die neue Crew um Schiesser noch nicht. Sie versuchte jedoch gestern nachdrücklich den Eindruck zu erwecken, als sei tatsächlich an eine Sanierung gedacht. NH–Chef Havenstein über Schiesser: „Herr Schiesser hat schon son sozialen Touch.“ Wichtigstes Nahziel für Havenstein: „Ich möchte da auch mal durchlaufen (durch die NH–Wohnungen, d. Red), ohne was vor den Kopf zu kriegen.“ Für Havenstein, in den ökonomischen Details weit sachkundiger als Schiesser, ist eine ökonomische Sanierung möglich: Zuerst muß der Schuldenberg reduziert werden, was vor allem Zugeständisse der Banken und der öffentlichen Hände voraussetzt. Havenstein sieht auch, daß die Neue Heimat weit über Zinsbelastung und Schuldentilgung hinaus belastet ist: Die Mieteinnahmen decken in großen Teilen des NH– Wohnungsbestandes nicht einmal die Betriebskosten. Die müßten deshalb vor allem reduziert werden. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Interessantes Detail: Die vorzeitige Rückzahlung öffentlicher Darlehen - sie waren an die Sozialbindung geknüpft, ihre Rückzahlung lockert diese - sei ökonomisch dringend erforderlich. Der Rückgang der Kapitalmarktzinsen in den letzten Jahren macht heute normale Bankkredite mit rund sechs Prozent weit billiger als viele der öffentlich heruntersubventionierten Altdarlehen mit acht Prozent Zins. Die Drohung des Hamburger Bausenators Eugen Wagner, den Verkauf an Schiesser über eine Prüfung der Gemeinnützigkeit platzen zu lassen, entpuppt sich immer mehr als wahltaktisches Windei (in Hamburg wird am 9. November gewählt): Selbst bei Aberkennung der Gemeinnützigkeit - für die es derzeit keine Anzeichen gibt - würde der Vertrag mit Schiesser gültig bleiben. Die Aberkennung könnte, wie bereits vom DGB–NH–Sanierer Hoff mann früher behauptet, eventuell sogar ökonomische Vorteile bringen: Der drohenden Steuernachzahlung stünden bessere Verwertungsmöglichkeiten von NH–Vermögen gegenüber. Die rot–grüne hessische Landesregierung hat gestern durch einen Beschluß ihre Absicht zur Übernahme der 30.000 Wohnungen der Neue Heimat Südwest bekräftigt. Anfang November wird die Landesregierung einen Nachtragshaushalt vorlegen, in dem 300 Millionen Mark für Kauf und Kapitalausstattung der Gesellschaft ausgewiesen werden. Auf Verlangen des grünen Koalitionspartners hat Finanzminister Krollmann auf eine zunächst vorgesehene zehnprozentige Teilhabe des DGB verzichtet. Der Kauf soll auf Verlangen der Grünen nur zustandekommen, wenn die NH–Südwest im Besitz der Gewerkschaftsholding BGAG ist. Während eines Gesprächs zwischen Bundeskanzler Kohl und DGB–Chef Breit am Mittwoch in Bonn forderte der Kanzler eine umfassende Unterrichtung über den Verkauf der Neuen Heimat.