Blitzraeumung der Mutlanger Friedenswiese war rechtswidrig

■ Überraschendes Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden–Württemberg - Demonstranten müssen nicht immer bezahlen - bei Räumungen muß auf eine angemessene Frist und auf „geringstmöglichen Eingriff“ geachtet werden

Mannheim (taz) - Demonstranten müssen nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden–Württemberg nicht immer für ihre Räumung durch die Polizei bezahlen. Die Forderung der Polizei, ein öffentliches Grundstück, dessen Besetzung zunächst geduldet wurde, innerhalb nur einer Stunde zu räumen, verstößt gegen den „Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs“. Mit dieser Begründung wies der VGH einen Kostenbescheid der Polizei an einen Demonstranten, der sich an einem Friedenscamp in Mutlangen beteiligt hatte, als rechtswidrig zurück. (Akt.–Z.: VGH 1 S 1480/85) Im Rahmen einer Aktion der Friedensbewegung im September 1983 vor dem amerikanischen Pershing–2–Depot in Mutlangen hatten Demonstranten ein öffentliches Grundstück neben dem US– Gelände, das die Gemeinde Mutlangen den Militärs zur Nutzung überlassen hatte, besetzt und zu einer „Friedenswiese“ erklärt. Die Besetzung wurde zunächst sowohl von den deutschen als auch von den amerikanischen Behörden geduldet. Der Mutlanger Bürgermeister verhandelte sogar mit den Rüstungsgegnern über einen Wasseranschluß und Entwässerungsmöglichkeiten für das Grundstück. Am 12.9.83 änderte jedoch die Gemeinde ihre Haltung und verlangte von den Besetzern, daß diese innerhalb nur einer Stunde ihre Aktion beendeten, eine Forderung, die das VGH jetzt als „unangemessen“ einstufte. Da man ihr nicht in der kurzen Zeit nachkam, trug die Polizei die Demonstranten von dem Gelände, stellte ihre Personalien fest und verlangte von den Demonstranten, den Polizeieinsatz zu bezahlen. Dagegen klagte nun ein Demonstrant erfolgreich. In ihrer unanfechtbaren Entscheidung führten die Richter aus:“Da das Grundstück lediglich wegen seiner Besetzung durch die Teilnehmer am sogenannten Friedenscamp, nicht aber etwa wegen Gefahren geräumt werden sollte, die durch die Demonstrationsteilnehmer in anderen Bereichen entstanden sind, wäre eine Aufforderung zur freiwilligen und längerfristigen Räumung schon allein im Hinblick auf die Verfestigung des Lagers angezeigt gewesen“.So hätte die Polizei die Demonstranten „abmahnen“ und ihnen „die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes“ der Besetzung ermöglichen müssen, zumal ihnen die Amerikaner als auch der Mutlanger BÜrgermeister erst die Nutzung der „Friedenswiese“ gestattet hatten. Sollte das Eingreifen der Polizei sogar erst auf Wunsch des amerikanischen Militärs mit der Begründung erfolgt sein, vom Turm der Friedenscamps könne man in das Pershing–2–Depot Einsicht nehmen, sei die Räumung erst recht als rechtswidrig zu bezeichnen, meinten die Richter: Dann hätte es nämlich ausgereicht, den Turm zu demontieren. Felix Kurz