Mietenrakete vor dem Abschluß?

■ Ab 1989 soll Berlin als letzte bundesdeutsche Stadt aus der Mietpreisbindung herausgenommen werden / Mieterorganisationen befürchten enorme Preissteigerungen und katastrophale soziale Folgen

Von Udo Hildenstab

Mit Ablauf des Jahres 1989 soll Berlin als letzte bundesdeutsche Stadt „Weißer Kreis“ werden. Gemeint ist damit: Die Mieten einer halben Million vorwiegend in der Innenstadt gelegener Altbauwohnungen - bislang gesetzlich festgelegt - sollen fortan dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage überlassen werden. So jedenfalls die derzeitige Rechtslage, die im Bundestag 1982 festgelegt wurde. Es ist in der Geschichte Berlins bereits der sechste Anlauf, die Mietpreisbindung endgültig zu beerdigen. Wie schon in früheren Jahren erheben jetzt Mieter und ihre Interessensvertretungen energischen Protest gegen die regierungsamtliche Marktinitiative, denn immer noch gilt die Vermutung, daß die Segnungen des freien Marktes ausschließlich den Geldbeuteln der Wohnungseigentümer zugute kommen.Mit glanzvollen Prognosen war Berlins CDU 1981 in die Bütt gestiegen, schrundige Wirklichkeit hat sie mittlerweile eingeholt. Denn - so auch das Hauptargument der Gegner eines „Weißen Kreises“ - lassen nach 1990 horrende Mietsprünge erwarten und damit verbunden katastrophale soziale Folgen: Beständig haben sich in Berlin seit 1980 die Realeinkommen verringert, die Arbeitslosigkeit ist auf das Doppelte angewachsen. Der Wohnungsneubau hält kaum Schritt mit der Vernichtung durch Abriß und Wohnungszusammenlegung in den Sanierungsquartieren. Mieten im Neubau sind überdies beträchtlich höher als im abnehmenden Altbaubestand und die Mietsteigerungen durch in großem Umfang aufgelegte öffentliche Modernisierungsförderungsprogramme tun - wie auch die Umwandlung von Sozial– in Eigentumswohnungen - das ihre zur Misere der Wohnungssuchenden, vor allem jener mit schmaler Brieftasche. Davon gibt es an der Spree mehr als sonstwo draußen im Lande: Gut ein Zehntel der Erwerbsfähigen geht stempeln und mit 140.000 Sozialhilfeempfängern (“Umsatz“: 1,2 Milliarden DM jährlich) hält die Stadt einen statistischen Rekord. Jeder siebente Haushalt krebst entlang des Existenzminimums - oder noch darunter. Eben für diesen Teil der Bevölkerung - so Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins - ist der preisge bundene Altbau „von jeher der eigentliche Soziale Wohnungsbau“ gewesen.Und der „normale“ Berliner? Er liegt mit seinem Bruttolohn oder -gehalt rund 12 dem, was sein Hamburger Kollege verdient, wohingegen seine Lebenshaltungskosten (ohne Miete) um 2 Prozentpunkte weiter oben angesiedelt sind. Erst durch Einrechnung der Miete in den Kostenindex ergibt sich ein mit anderen Großstädten vergleichbares Niveau der Lebenshaltungskosten - Folge der im Altbau bislang günstigen Mieten durch Preisbindung. Für Wolfgang Nagel, dem baupolitischen Sprecher der Berliner SPD ist die Mietpreisbindung mithin „die Berlinförderung der Arbeitnehmer“. Die Regierungskoalition im Schöneberger Rathaus hält indessen die schon vor Jahren gegrabene Stellung: Das gesetzlich vorgeschriebene Mietniveau sei verantwortlich für Marktverzerrungen und den miserablen Zustand der Berliner Altbausubstanz. Dies ist auch ein Argument der Haus– und Grundstücksbesitzerverbände. Lügen straft es der tadellose Zustand tausender Berliner Althäuser, die langfristig als Wertanlage gepflegt, auch bei bester Instandhaltung ihren Besitzern noch Gewinne von jährlichen 7 annonciert eine Hausverwaltungsgesellschaft im Immobilienteil einer Berliner Tageszeitung mit dem Slogan: „Durch sachkundige Verwaltung wird auch aus Ihrem Grundbesitz trotz Mietpreisbindung wieder ein Renditeobjekt.“ Die Frage lautet folglich nicht „ob“, sondern „in welcher Höhe“ Hausbesitz Renditen ermöglicht. Ein Zukunftsszenario entwirft die Werbebroschüre der Immobilienfirma „AREAL“: „Seit der Bundestag beschlossen hat, die Mietpreisbindung bei Altbauten in Berlin ab 1.1.1990 aufzuheben, sind Berliner Komfort– Altbauwohnungen als Kapitalanlage außerordentlich interessant geworden. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt eröffnet sich ein Mieterhöhungspotential, das - gemessen an vergleichbaren Großstädten - ca. 60 bis 80 Hamburg und München blicken derweil auf eine zehnjährige Erfahrung als „Weiße Kreise“, die Entwicklung der dortigen Mietpreise mag einmal mehr veranschaulichen, auf welcher Interessenseite Anlaß zu Markteuphorismus geboten ist. Dr. Pahlke, Vorsitzender des Hamburger Mietervereins zur taz: „Wohnungen, deren Höchstmiete 1976 noch 3,51 pro Quadratmeter betragen hat, kriegen Sie heute nicht mehr unter 10 DM.“ Wurden die Renditen reinvestiert? Pahlke: „Keine Rede. Gemacht wurde nur etwas an Häusern, die umgewandelt, deren Wohnungen als Einzelobjekte verkauft wurden oder dort, wo neuvermietet wurde.“ Nicht anders die Situation in der Bayernmetropole. Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter: „Einerseits gibt es Hunderte von leerstehenden Wohnungen, andererseits einen sich verschärfenden Mangel an preiswertem Wohnraum.“ Die Folge: Immer mehr bewerben sich um eine Sozialwohnung, doch „selbst bei sofortiger Bebauung aller auf Münchener Stadtgebiet zur Verfügung stehenden Flächen könnte der Mangel nicht wettgemacht werden.“ Bei einem mehr als 35% über Bundesdurchschnitt liegenden Münchener Mietniveau forderte Kronawitter jüngst eine eigene Wohngeldsonderstufe. Kein Heilmittel für einen darniederliegenden Wohnungsmarkt, allenfalls Schmerzpille für dessen Opfer. Statt Preisbindung „Individualforderung“ Mit der gleichen bitteren Medizin wollen auch Berlins Regierende in den „Weißen Kreis“ steigen. CDU–Bausenator Georg Wittwer verkennt durchaus nicht die soziale Brisanz des Marktabenteuers - ein Argument für die Beibehaltung der Preisbindung ist dies jedoch nicht: Die „Wohnungszwangswirtschaft“ (CDU– Jargon) müsse weg. Harsche Auswüchse werde man „abfedern“. Das Gebot der Stunde heißt „Individualförderung“ in Form von Wohngeld, wodurch die Verantwortung des Staates auf den Einzelnen abgewälzt wird. „Viele Anspruchsberechtigte praktizieren im Verzicht auf staatliche Hilfe ihre Menschenwürde“, erklärt Armin Hentschel, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BMV, den folgerichtigen Effekt solch einer Politik, die Abhängigkeiten fördert und zugleich brandmarkt. Wittwers Credo „Ich bin gar nicht sicher, daß die Mieten überhaupt steigen werden“ wird indessen nur taktische Qualität zugeschrieben. Anders als erwartet hat die Mauerstadt wieder Bevölkerungszuwächse zu verzeichnen und die geburtenstarken Jahrgänge der 60er drängen jetzt auf den Wohnungsmarkt. Hinter dem von der CDU 1981 angekündigten Ziel, 50.000 neue Wohnungen zu schaffen, ist man weit entfernt geblieben. Vor allem aber: Berlin fehlt das Umland, das die gravierendsten Engpässe und Preisauswüchse auffangen könnte. So weissagt nicht nur der Berliner Mieterverein, mit 35.000 Mitgliedern behendester Anwalt einer weiteren Preisbindung, sondern auch die Berliner Oppositionsparteien „eine Zündung der Mietenrakete“, wenn der „Weiße Kreis“ Einzug hält. Zum marktwirtschaftlichen Bumerang könnte er obendrein geraten: Notwendigerweise führen Mietsteigerungen zu einer Umverteilung des privaten Haushaltsbudjets - einsparen muß der Mieter künftig bei Kleidung, Nahrung,Urlaub u.s.w.. Darüber haben wir noch nicht nachgedacht“, hieß es beim Einzelhandelsverband auf Anfrage. Einzelne Geschäftsleute hängen dagegen schonmal ein Plakat gegen den „Weißen Kreis“ ins Schaufenster - ihre an die Geschäftsräume gekoppelten Wohnungen sollen schon Ende 88 aus der Preisbindung kippen.