Energiebilanz pumpt Redewogen ins Wasserwerk

■ Raus erster Auftritt als Kanzlerkandidat / Für Bangemann ist Atomenergie „nicht das letzte Wort“ / Fischer listet „Unwahrheiten, um nicht zu sagen Lügen“ der Regierung auf / Riesenhuber baut auf „erforschte Technik“

Aus Bonn Tina Stadlmayer

Johannes Rau, Kanzlerkandidat der SPD, der sich seit Wochen von der CDU anhören muß, daß er vor dem Parlament kneift, ist nun endlich doch erschienen. Wie dpa unter Berufung auf unterrichtete Kreise meldet, wußte die Regierung bereits am Vorabend von dem geplanten Auftritt und schickte daraufhin auch Umweltminister Wallmann in die Debatte. Der NRW–Ministerpräsident legte sich für die heimische Kohle ins Zeug: „Die Energiepolitik der Bundesregierung kostet Zehntausende von Arbeitsplätzen im Kohlebergbau. Rau plädiert für die Entwicklung und den Einsatz umweltschonender Techniken zur Kohleverbrennung, nur so sei der Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb der nächsten zehn Jahre möglich. Rau: „Ich will hier den CDU–Landesvorsitzenden von Nordrhein–Westfalen, Kurt Biedenkopf, zitieren, der - übrigens in der taz - gesagt hat, die Auseinandersetzungen zwischen CDU und SPD reduzieren sich auf den Zeitpunkt des Ausstiegs. Ich wäre schon froh, wenn die Bundesregierung Herrn Biedenkopf wenigstens in diesem Punkt folgen würde.“ Am Schluß seiner Rede erklärte Rau: „Die Bundesregierung will etwas anderes als die große Mehrheit der Menschen bei uns!“ Wütendes Gegrummel bei der CDU, begeisterter Applaus bei der SPD und vereinzeltes höfliches Klatschen bei den Grünen. Vor der Rede Raus hatte Wirtschaftsminister Martin Bangemann in einer Regierungserklärung den Energiebericht vorgestellt. Bangemann zog aus dem Bericht das Fazit: „Für uns ist Kernenergie nicht das letzte Wort.“ Forschungsminister Heinz Riesenhuber sprach dagegen deutlich aus, welche Position die Bundesregierung mit ihrem Energiebericht vertritt: „Wir brauchen den Schnellen Brüter in Kalkar und die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Man kann nicht eine erforschte Technik aufgeben, wenn man nicht weiß, wann sie gebraucht wird.“ Vom Beifall der Grünen empfangen und sichtlich gut aufgelegt, tritt nach der Rede des Forschungsministers der hessische Umweltminister Joschka Fischer ans Rednerpult. „Das sind doch nur erbauliche Sprechblasen, Herr Riesenhuber, was wir hier von Ihnen gehört haben. In dumpfer Sturheit setzt die Regierung im Energiebericht ihren Atomkurs fort. Sie tut so, als hätte es Tschernobyl nie gegeben.“ Fischer wirft dem Forschungsminister vier Unwahrheiten, „um nicht zu sagen Lügen“, vor: „Erstens. Sie sagen deutsche Atomkraftwerke seien sicher und ignorieren die Hunderte von Störfällen. Zweitens. Sie sagen Atomstrom sei billiger. Warum sind dann die Strompreise in Frankreich so hoch und in Schweden so niedrig? Drittens. Die Totengräber des Waldes sorgen sich jetzt um die Schadstoffbelastung in der Luft. Die Alternative heißt nicht Saurer Regen oder Atomkraft, sondern weder noch. Viertens. Sie sagen, wir müssen die Energieressourcen in der Dritten Welt schonen. Atomkraftwerke, die von uns in den Iran und auf die Philippinen exportiert wurden, haben sich jedoch als hochgefährlicher Schrott erwiesen. Die Dritte Welt braucht stattdessen dezentrale Sonnen– und Windenergien.“ Am Schluß seiner Rede stellt er fest: „Eine Diktatur wie die Sowjetunion (Zwischenruf von der CDU: „Wie Sie sie wollen!“), hat die Katastrophe von Tschernobyl relativ unbeschadet überstanden, aber was würde aus unserem demokratischen System? Müssen dem Namen Tschernobyl und Harrisburg noch deutsche Namen folgen? Wenn die Bundesregierung am Atomkurs festhält werden wir eines Tages einen furchtbaren Preis zahlen müssen.“ Auftritt als nächster Redner Walter Wallmann, Bundesumweltminister: „Wer Herrn Riesenhuber Sprechblasen vorwirft und ihn der Lüge bezichtigt, hat keinen Respekt. Herr Riesenhuber ist ein ausgewiesener Naturwissenschaftler.“ Wer Brokdorf und Tschernobyl in einem Atemzug nennt zeige damit Unkenntnis der deutschen Sicherheitsstandorts: „Tschernobyl wäre in der Bundesrepublik nicht möglich. Auch in Harrisburg und Tschernobyl ist nicht das gleiche passiert. In Harrisburg ist nichts nach außen gedrungen, da war die Schutzhülle.“ An die SPD gewandt, fragt Wallmann: „Sie sagen, Wackersdorf und Kalkar bedeute den Einstieg in die Plutoniumswirtschaft. Was hat sich denn geändert seit der Zeit, als sie für Kalkar die ersten Teilerichtungsgenehmigungen erteilt haben?“ Seinen letzten Satz bringt Wallmann nicht mehr ganz zu Ende: „Dieses Thema ist zu ernst...“ Zwischenruf von den Grünen: „...als daß man es Ihnen überlassen dürfte!“