Das Buch liegt „gut im Trend“

■ Gestern ging die Frankfurter Buchmesse zuende / Bilanz: Weniger Besucher, aber steigender Umsatz

Die Gebirgslandschaft in Deutschland ist um einen Berg reicher geworden: der Bücherberg. In Frankfurt türmte er sich zu neuer Rekordhöhe auf. Zugenommen hat vor allem Trend–Literatur: kaum ein Verlag, der nicht zum Thema Atomkraft etwas veröffentlicht hat. Esoterik ist immer noch mit steigender Tendenz ein Renner. Das diesjährige Buchmessenthema Indien scheint in diesen Trend zu passen. Doch bei näherer Betrachtung der indischen Literatur wird klar, daß Indien mehr zu bieten hat als Götter und Gurus.

Das in den letzten Jahren mit Vehemenz vorgetragene Lamento vom Niedergang der Buchs angesichts neuer Medien klingt auf der diesjährigen Buchmesse merklich verhaltener. Zwar hat der Börsenverein des Buchhandels auch in diesem Jahr sein missionarisches „Zentrum Leseförderung“ eingerichtet, die Umsatzzahlen des Sortimentsbuchhandels indessen gehen stetig aufwärts: Während der Einzelhandel generell über bescheidene Gewinne klagt, legten die Buchverkäufer 1985 volle sechs Prozent zu. Die größte Bücherschau der Welt wartet denn auch mit neuen Rekordzahlen auf: knapp 7000 Verlage aus 84 Ländern präsentieren 320.000 Bücher, darunter 92.OOO Neuerscheinungen. Die Besucherzahlen sollen in diesem Jahr leicht zurückgegangen sein - 2000 Besucher weniger pro Tag fallen aber im Gewimmel kaum auf. Die Verleger sprechen von einer ruhigen Messe ohne Skandale und Aufregung, dafür aber mit kräftig ordernden Buchhändlern. Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Günther Christiansen, kleidete die profitablen Zeiten der Verlagsbranche in einen zeitgemäßen Spruch: das Buch liege „gut im Trend.“ Ein nach dem 26.April 1986 eigentlich zu erwartender „inhaltlicher“ Trend - ein massenhafter Niederschlag von Tschernobyl– Büchern - ist überraschender Weise ausgeblieben. Zumindest was das Wort „Tschernobyl“ betrifft, das in den Buchtiteln selten auftaucht. Zwar findet sich Anti– Atom–Literatur allerorten, doch das war in den Vorjahren auch schon so, der GAU hat allenfalls dafür gesorgt, daß es heuer kaum noch einen Verlag gibt, der nicht mindestens ein Sach– und Fachbuch zum Thema im Programm hat. Für einen Trend, der hoffentlich ebenfalls ausbleibt, könnte paradigmatisch H.D.Genscher stehen: kaum hatte er zur Eröffnung der Messe angehoben „Bücher - solide Pfeiler für die geistigen Brücken zwischen den Völkern“ - da brach er, von einer Herz–Kreislaufattacke getroffen, zusammen. Daß es nicht die Last der Kultur war, die den atlasartig und aufopferungsvoll die Streßlast der Außenpolitik tragenden Minister endgültig zu Fall brachte, behauptet tags darauf Bild: „Genscher krank - aus Liebe zur Mutter“. Eine Lösung der Genscherose findet sich vielleicht in den neusten Thesen Volker Pilgrims, die er in seinem Buch „Muttersöhne“ aufstellt. Wer als Junge nur seine Mutti liebhat und Vati für einen üblen Versager hält, der neigt zu zwanghaft unmäßiger Expansion - Pilgrim belegte dies anhand der typischen Muttersöhnchen A.Hitler, J.Stalin, R.W.Faßbinder, F.X.Kroetz und P.Handke. Genschers Allgegenwart auf den Flugplätzen der Welt scheint demselben Syndrom geschuldet. Auch andere Groß–Politiker versuchen sich in kulturrelevanten Aussagen. Als heimlicher Hit auf der Messe wird eine Schallplatte mit literarischen Kurzlesungen gehandelt: Petra Kelly liest Gudrun Pausewang, Johannes Rau trägt Luise Rinser vor und Franz Josef Strauß gibt ein Stückerl Ludwig Thoma zum besten. Lektoren scheinen auch nicht mehr das Richtige zu lesen. Jedenfalls versicherte man mir am Stand von Quartet Books, daß für die fast 500seitige Biographie Magnus Hirschfelds, verfaßt von Charlotte Wolff, sich noch kein deutscher Verleger interessiert hat. Ob die ähnlich umfangreiche Karl– Kraus–Biographie von Edward Timms bei Yale University Press einen Abnehmer gefunden hat, weiß ich nicht. Bei Bernard Barrault, einem französischen Verlag, ist ein sehr schöner Band über historische Fotofälschungen erschienen. Wir alle kennen den berühmten Fall, bei dem Trotzki von Lenins Rednerpult wegretuschiert wurde. Alain Jaubert hat in Le Commissariat aux Archives eine Fülle solcher Fälle zusammengetragen und dokumentiert. Jedoch: Unsere Leichen leben noch und nicht jeder tote Autor fällt der Mißachtung anheim. Den Messestand von „Hoffmann und Campe“ erreichte der aufgeregte Anruf eines französischen Journalisten, der anläßlich einer Neuerscheinung dringend ein Interview mit einem Verlagsautor führen wollte: Heinrich Heine. Auch die taz blieb von derartigen Nachfragen nicht verschont: am Messestand fragte eine Jung–Journalistin nach der Mutter von Rosa Luxemburg– wir mußten sie enttäuschen: Margarethe von Trotta war noch nicht aufgetaucht. B.A.