„Unbefugtes Betreten“ militärischer Anlagen

■ Protestwochenende der britischen Friedensbewegung gegen Atomwaffen in Schottland / An der von der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ organisierten Menschenkette zwischen Glasgow und Edinburgh nahmen 35.000 Menschen teil

Aus Coulport Rolf Paasch

„Entschuldigen Sie bitte“, frage ich den Superintendenten der britischen Militärpolizei, der mitten in der schottischen Moorlandschaft der Rossneath–Halbinsel steht und dem bunten Treiben um ihn herum mißbilligend zuschaut, „können Sie mir vielleicht sagen, was hier gebaut wird und wo genau die Atomraketen gelagert werden sollen?“ „Ein wunderschöner Tag heute, finden Sie nicht“, antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln. „Heißt das“, so lasse ich nicht locker, „daß Sie gar nicht wissen, was ihre Mannen hier bewachen?“ „Sie müßten das sehen, wenn es hier regnet und der Wind die Wolken entlangtreibt, sehr ungemütlich, das kann ich Ihnen sagen.“ Die englische Schale des Militärbobbies hält in jeder Hinsicht dicht. „Sind Sie aus London hier heraufgekommen?“ fragt er höflich. Sind wir. Und zwar, um Zeuge des bisher größten, von der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ organisierten „mass trespass“ zu sein, dem unbefugten Betreten militärischer Anlagen, das am vergangenen Samstag begann. Einige Tausend Anhänger der britischen Friedensbewegung sind für das Wochenende hier in die „Trossaghs“ rund 30 km nordwestlich von Glasgow heraufgekommen, um auf die größte Konzentration atomarer Anlagen in Europa hinzuweisen. Mehrere Atomkraftwerke, an der Nordspitze Schottlands ein Versuchs– Brüter, in der Meerenge von „Holy Loch“ amerikanische „Poseidon“–Atom–U–Boote, drüben in Faslane die britische Polaris– Flotte - und hier in Coulport das Depot für die von der Regierung Thatcher bestellten Trident– Atomraketen. Genug, um Schottland in einen Atomstaat zu ver wandeln. Hier, auf der Halbinsel von Rossneath, wo die „Glaswegians“, die schottischen Hauptstädter, traditionell am Wochenende Wandern gingen, gräbt das Verteidigungsministerium seit Februar an den Trident–Bunkern. „M.O.D.–Land, Betreten verboten“, steht da, wo sich an diesem Samstagmorgen eine lange Schlange von Demonstranten mit Rucksäcken und Plakaten den Berg hinaufwindet. Wenn an der Riesenbaustelle nicht die Wachpolizisten aufgestellt wären, könnte man meinen, der schottische Alpenverein veranstalte hier einen Alternativ–Gipfel: Schon angegraute Friedensmarschierer aus den 50er Jahren, denen der Höhenunterschied deutlich zu schaffen macht; Scharen von Anti– Atom–Müslis mit fleischfreien Picknick–Vorräten; und die An hänger des „Christlichen CND“, die versuchen, Jesus gegen Trident zu mobilisieren, indem sie heftig gegen die herangekarrten Hundertschaften der Militärpolizei anbeten. „Entschuldigen Sie“, fragt ein keuchender Fahrradfreak, zwei herumstehende Ordnungshüter, „wo geht es hier zum mass trespass?“ „Hier rechts, und dann weiter den Berg hoch“, lautet die freundliche Anleitung zum Gesetzesbruch. Und weiter schiebt er sein bunt geschmücktes Friedensfahrzeug den Bergrücken entlang. Nach 50 Metern stecken ihm zwei CND–Stewards ein Flugblatt zu, auf dem eine Bedienungsanleitung zum „unbefugten Betreten“ geschrieben steht, einschließlich der Telephonnummer eines Rechtsanwalts. Die Sonne knallt auf den Bergrücken, und er schöpft läßt sich der Pedaltreter für den Frieden erst einmal ins blühende Heidekraut sinken. Dabei fällt sein Blick im Osten auf die Basis von Faslane, wo sich gerade ein Polaris–U–Boot den Weg ins of fene Meer sucht. Von hier aus würde der Erst– oder Gegenschlag der britischen Atommacht seinen Ausgang nehmen, hier befinden wir uns auf dem roten Mittelpunkt des atomaren britischen Dart– Bretts. Und obwohl sich in der jüngsten Meinungsumfrage nur l3 Prozent der Bevölkerung für die Ersetzung der Polaris–Flotte durch vier neue Trident–U–Boote ausgesprochen haben, will die Regierung Thatcher rund zehn bis 15 Mrd. Pfund in den nächsten Akt der Aufrüstung stecken. Die vier „Trident–Submarines“ werden mit 16 Raketen bestückt sein, die im Gegensatz zu Polaris nicht drei, sondern je 14 atomare Sprengköpfe tragen. Das in den USA entwickelte Trident D 5–System hat eine ums Vierfache verbesserte Zielgenauigkeit. Aufrüstung zum Erstschlag Theoretisch soll die Hälfte aller Sprengköpfe in einem Zielradius von 150 Metern einschlagen, was Trident zur idealen Erstschlagwaffe macht. Die insgesamt 5.000 geplanten amerikanischen und britischen D 5 Sprengköpfe allein könnten 98 Prozent aller Raketen– Silos der Sowjetunion vernichten. Mit der traditionellen Abschreckungsidee hat das nukleare Modernisierungsprogramm von Rambo und Rambona also nichts mehr gemein. Am frühen Nachmittag setzte die Polizei dem tolerierten Ausflug in die Gesetzlosigkeit dann ein Ende. Sie verwandelte das „Unbefugten Betreten“ des militärischen Geländes in einen alternativen Almabtrieb. Die bunte Herde der Atomwaffengegner wurde zu den im Tal wartenden Bussen zurückgetrieben, in die die Friedensschäfchen dann auch willig und ohne weiteres Blöken einstiegen. Am Sonntag war noch ein Protesttag. 35.000 Rüstungsgegner waren es schließlich, die sich zwischen Glasgow und Edinburgh, da wo Schottland am dünnsten ist, die Hände zu einer Menschenkette reichten. Von den schottischen Nationalisten über Schulklassen mit ihren Lehrern sowie dem Erzbischof bis hin zu den „Pensionären für Peace“ waren alle vertreten, die der Bestückung ihrer schottischen Heimat mit zivilen und militärischen Atomanlagen ein Ende setzten wollten. Bei den Schotten, soviel ist nach diesem Wochenende klar, wird Margareth Thatcher die nächsten Wahlen jedenfalls nicht gewinnen.