Auf Spiekeroog sind die Parteien abgeschafft

■ Nach den Kommunalwahlen in Niedersachsen flaut der rot–grüne Aufwind landesweit leicht ab / CDU blieb stärkste Partei In größeren Städten lösten häufig rot–grüne Mehrheiten CDU–Bürgermeister ab / Kuriositäten in einzelnen Kommunen

Aus Hannover Axel Kintzinger

„Der Tschernobyl–Effekt ist weg.“ Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), der am frühen Sonntagabend als erster Spitzenpolitiker die ersten Hochrechnungen der Kommunalwahlen kommentierte, blieb etwa so gelassen wie Bayern–Trainer Udo Lattek, wenn der etwas zum Arbeitssieg über Bochum erzählt und dabei auch die beiden Tore erwähnt, die sich seine Mannschaft eingefangen hat. Ganz anders sein Kontrahent im Landtag, SPD–Oppositionschef Gerhard Schröder: „Die politische Landschaft hat sich verändert. Wir befinden uns im Aufwind.“ Schröder weiß, daß er hier irrt. Und er ärgert sich. Mit aggressiver Tonlage zieht er hämisch über die FDP her, die landesweit 1,5 Prozent verloren hat und in weiten Teilen Niedersachsens - da hat Schröder recht - zur Bedeutungslosigkeit verdammt wurde. In Presse–Gesprächen versteigt sich Schröder gar zu der Prophezeiung, „bei den Bundestagswahlen in Niedersachsen zur stärksten Partei zu werden“. Zweifler kanzelt er arrogant–bissig ab: „Nach den Wahlen sprechen wir uns wieder!“ Realistischer gibt sich der CDU–Landesvorsitzende und Innenminister Wilfried Hasselmann. Seine Partei, sagt er, habe mit Verlusten in dieser Höhe gerechnet. Bei Kommunalwahlen gehe es weniger um die große Politik, das Wahlergebnis resultiere vielmehr aus der Kandidatur „bestimmter Menschen“. Ferner spielten lokale Themen, so Hasselmann weiter, eine dominierende Rolle. Johannes Bruns, niedersächsischer SPD–Chef, gibt ihm kurze Zeit später recht. „Wenn die SPD in Emden knapp die Zwei–Drittel– Mehrheit verfehlt und die CDU auf 24 Prozent gedrückt wird“, meint der SPD–Rechte, „liegt das bestimmt nicht an Hasselmann.“ Richtiggehend gelöst wirkt Helmut Lippelt, Bundestagskandidat der Grünen. „Wir haben uns als dritte Kraft im Lande etabliert.“ Seine Partei wird in einigen Städten die Mehrheitsbeschafferin für sozialdemokratische Oberbürgermeister, so in Delmenhorst, in Braunschweig oder in Oldenburg. Die SPD verfehlte allerdings ihr Ziel, alle kreisfreien Städte zu „erobern“: Osnabrück bleibt schwarz, und in der VW–Metropole Wolfsburg spielt eine unabhängige Wählergruppe um eine ehemalige CDU–Ratsfrau mit überraschenden drei Mandaten das Zünglein an der Waage. Schwierigkeiten wird es für die Sozialdemokraten in der Landeshauptstadt geben. Die angestrebte absolute Mehrheit wurde vefehlt, Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg ist künftig auf die Stimmen der Grün–Alternativen Bürgerliste (GABL) angewiesen. Die jedoch will er nicht haben. „Es wird keine rot–grüne und auch keine rot–schwarz–gelbe Zusam menarbeit geben“, lispelt er einem Rundfunkreporter ins Mikrofon. Schmalstieg geht davon aus, daß ihn außer seiner eigenen Partei schon irgend jemand aus den anderen Fraktionen wählen würde. Wenn nicht, wird er den dritten Wahlgang abwarten müssen, wo die relative Mehrheit reicht. Dann fangen die Probleme für Schmalstieg aber erst an. Entweder führt die Hannoversche SPD ihre Linie einer faktischen großen Koalition fort, oder sie muß auf die GABL zugehen. Der frischgewählte Alternativen– Ratsherr Pico Jordan ist noch skeptisch: „Eine Mehrheit für den Haushalt können wir der SPD bieten.“ „Das allerdings“, so Jordan weiter, „würde einschneidende Veränderungen gegenüber ihrer bisherigen Politik bedeuten. Und Schmalstieg hat davon gesprochen, daß er diese Änderungen nicht will.“ Ohne Hoffnung ist die GABL jedoch nicht, denn „es gibt auch andere Kräfte in der SPD, die Anknüpfungspunkte zu uns haben“. Aus dem Rat verabschieden muß sich die DKP, ihr einziges Mandat ging trotz einer maßlosen Materialschlacht während des Wahlkampfes verloren. Eine Rolle spielt die Tschernobyl–Partei lediglich noch in Oldenburg, wo sie von vier Sitzen aber auch zwei verlor. Ein Achtungsergebnis erzielten die Kommunisten im Stadtrat des Grenzortes Nordhorn, wo mit zwölf Prozent der Stimmen fünf Sitze ergattert werden konnten. Lobenswerte Nachrichten kommen von der Nordsee–Insel Spiekeroog. Dort hat man die Parteien einfach abgeschafft, denn, so Gemeinde–Direktor Klaus Meier–Olden: „Hier kennt jeder jeden, da kommt es nicht auf Parteiprogramme, sondern auf gute Einzellösungen für die Insel an.“ Die künftige Regierung wird von den Gruppen „Us Spiekeroog“ und der „Inselgruppe Spiekeroog“ gestellt werden. Die „Parteiliste Spiekeroog“ wurde in die Opposition geschickt. Die „Gemeinschaft Spiekeroog pass op“ ereilte das gleiche Schicksal.