Wahlstrategen aufs Maul geschaut

■ Die Bundesgeschäftsführer von SPD und CDU, Glotz und Radunski, präsentierten einem geladenen Publikum in Frankfurt ihre Wahlkampf–Rhetorik: Pausbäckigkeit versus Kopflastigkeit / Das Publikum schwieg stille

Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Ob Wahrheit und Wahrhaftigkeit nicht in der Rhetorik der Wählerwerbung untergingen, wollte der Diskussionsleiter eines Streitgesprächs zwischen Peter Glotz (SPD) und Peter Radunski (CDU), Bundesgeschäftsführer ihrer Parteien, wissen und erhielt ein „Nein, wieso denn!?“ zur Antwort. Trotz der erwartungsgemäßen Selbsteinschätzung der beiden Parteimanager hatten sich am vergangenen Samstag am Rande der Buchmesse rund hundert geladene Gäste im Frankfurter Pres seclub versammelt - unter ihnen die Moderatoren von tagesthemen und heute–journal, Hanns– Joachim Friedrichs und Klaus Bresser -, um „Neues aus der Hexenküche“ der Wahlkampfstrategen zu erfahren. Glotz bediente die Neugierigen mit Thesen aus seinem jüngsten Buch „Kampagne in Deutschland“. „Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Es heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft.“ Das ist nicht Glotz, sondern Hitler. Dann zählte der „rasende Geist der SPD“ die Fehler „der Linken“ auf: Geschichtslosigkeit, Kopflastigkeit, intellektuelle Abkapselung. In These 3 plädierte er für eine „legitime Elite“ der Aufklärung, bei These 4 ging es gegen „Remythisierung“ von Politik - doch komme auch „die Linke“ nicht ohne „suggestive Bilder, große Abbreviaturen, Archetypen“ aus. In These Nummer 10 heißt es: „Thematisieren, dramatisieren, markieren, Kampagnen zerstören: die Arbeit der Zuspitzung ist ehrliche Arbeit.“ Viele Zuhörer mochten schon erste Erschöpfungserscheinungen verspüren, als Peter Glotz „Kampfbegriffe“ lobte, vor der Gefahr einer „zweiten“, also künstlichen Realität der „politischen Klasse“ warnte und zum furiosen Schluß gegen den Freund–Feind–Denker Carl Schmitt den harten Kern der Aufklärung setzte: den Willen zum Argument. Peter Radunski kam mit ganzen fünf Thesen aus. Er hat eine „Repolitisierung der Wahlkämpfe“ und einen „neuen, dosierten Optimismus“ entdeckt, was zur Strategie eines „Hoffnungswahlkampfs“ geradezu verpflichte. Vertrauen sei gewachsen, Technikfeindlichkeit und „no future“– Stimmungen gehörten der Vergangenheit an; gar ein „neues Lebensgefühl“ hat man im Konrad– Adenauer–Haus ausgemacht: Mut zur Zukunft statt Warnung vor der Zukunft. „Fernsehgerechtes Management“, „Emotionalisierung“ und „Personalisierung“ - das sei die Trinität des Parteierfolgs, wenn das Wählervolk immer mehr der „Emo–Schiene“ verfalle: 30 Prozent Wechsel– und Stimmungswähler, deren Entscheidung mehr vom „Wertewandel“ als von ihrer sozialen Stellung abhänge. Dazu verringere sich laufend der Zeithorizont von Politik, insgesamt also: „Der Wahlkampf ist ein großartiges Unternehmen zur politischen Bewußtseinsbildung.“ Da mußte Glotz das Publikum warnen: „Der Radunski glaubt doch selbst nicht an seine Propaganda.“ Der aber lächelte bloß, verkörpert er doch jene modernisierte Pausbäckigkeit, die ungerührt einfach alles behauptet und damit gewinnt. Das Publikum blieb weitgehend stumm, auch ein Zeichen für den Erfolg von Beschwörungsformeln, mit denen Wirklichkeit simuliert, Politik „ästhetisiert“ und Trennschärfen der Wahrnehmung zugunsten schillernder Pseudo– Alternativen aufgehoben werden: Die Realität wird erfunden. Und da ist Radunskis Gewitztheit eines Schnürsenkelverkäufers „kommunikationspraktischer“ als die intellektuelle Haltung von Glotz. Seine Kritik an der Kopflastigkeit „der Linken“ ist selbst „kopflastig“. Mit der Dialektik von Stimmung und Lage, die sich zur Stimmungslage versöhnt, benutzt die CDU geschickt die Realität der Bundesrepublik als Wohlstandsinsel, während der „kühle Analytiker“ Glotz die Rechnung ohne das Wirtshaus macht.