Vorurteile

■ Der Menschenrechtsausschuß der OAS legte seinen Bericht vor

Die Notenverteilung des Menschenrechtsausschusses der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) scheint die dominante Stellung der USA innerhalb der OAS widerzuspiegeln. In Chile konnte sich die Reagan–Doktrin, d.h. die von den USA kontrollierte Übergabe der Macht an ein ziviles Regime, noch nicht durchsetzen. In El Salvador und Guatemala hingegen sind die Militärs auf Druck der USA von der politischen Bühne abgetreten und die US–Interessen scheinen bis auf weiteres gesichert. Trotz dieser Parallelen drücken die Noten ein Stück Wahrheit aus. In Chile hat sich die Situation tatsächlich verschlimmert, in El Salvador hat sie sich etwas verbessert. Doch die Noten verschleiern auch, indem sie ein Vorurteil am Leben erhalten, das bislang auch von der Linken kaum hinterfragt wurde, das Vorurteil, daß der Grad an Demokratisierung auch ein brauchbarer Gradmesser für das Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen ist. Im Juli wurden im demokratisch verfaßten Peru über 500 wehrlose Häftlinge von Sicherheitskräften hingemordet, ein Massaker, das in dieser Brutalität in diesem Jahrzehnt in Lateinamerika wohl einmalig ist. Peru wird von einem gewählten Sozialdemokraten regiert, und die Militärhilfe der BRD läuft weiter - trotz des „schmutzigen Krieges“ in den Anden, bei dem die peruanischen Militärs seit 1980 im Kampf gegen die Guerilla des „Sendero Luminoso“ schon über 7.000 unschuldige Indios umgebracht haben. Die kolumbianischen Todesschwadronen stellen ihre chilenischen Kollegen in den Schatten. In den letzten vier Monaten haben sie mindestens 35 Mitglieder der Patriotischen Union (UP) ermordet, darunter zwei Parlamentarier und vier Stadträte. Die UP ist die politische Partei der kommunistischen Guerilla, die mit der Regierung einen Waffenstillstand geschlossen hat. Kolumbien wird von einem gewählten Präsidenten regiert. In Chile wurde am 7. September der Belagerungszustand ausgerufen: Es gab Schlagzeilen in der Weltpresse. Zehn Tage zuvor war in Bolivien - allerdings von einer demokratisch gewählten Regierung - der Belagerungszustand ausgerufen worden. Über 200 Oppsitionelle wurden sofort verhaftet und 55 Gewerkschaftsführer und Linkspolitiker zwecks Internierung in den Dschungel verschleppt. Es geht nicht darum, an der chilenischen oder einer andern Diktatur irgendetwas zu beschönigen. Aber zu oft haben uns die Militäruniformen geblendet und die Sicht auf zivil regierte Staaten versperrt. In Lateinamerika war die Demokratie noch nie Garant für die Einhaltung von Menschenrechten. Sie hat bloß bessere Voraussetzungen dafür geschaffen. In der Regel. Thomas Schmid