AKW Brokdorf und Polizei unter Strom

■ Der Atommeiler an der Unterelbe, ein Symbol der Anti–Atomkraftbewegung, wurde in Betrieb genommen / Anti–AKW–Bewegung von dem frühzeitigen Termin überrascht / Tag X wurde ausgerufen / Demonstrationen und „dezentrale Aktionen“ haben begonnen

Berlin (taz) - „Die Einleitung der selbsttragenden Kettenreaktion steht unmittelbar bevor.“ Mit dieser knappen Feststllung hat die Preußenelektra gestern die erste Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl angekündigt. Das AKW Brokdorf an der Unterelbe sollte noch im Laufe des Dienstages, spätestens am Mittwoch ans Netz gehen. Zeitgleich mit den Kernbrennstoffen wurde auch die Polizei in Marsch gesetzt. Spezialeinheiten wurden in der Wilstermarsch zusammengezogen, um den angekündigten Protestaktionen zu begegnen. Die Anti–AKW–Bewegung hat für den sogenannten Tag X der Inbetriebnahme zu Demonstrationen und dezentralen Aktionen aufgerufen. Von der Nacht– und Nebel–Aktion überrascht, blieb es gestern bis Redaktionsschluß am Standort aber noch ruhig. Am Abend war auf dem Hamburger Heiligengeistfeld - dem Tatort des Polizeikessels nach der letzten Brokdorf–Aktion - eine Demonstration geplant. Militante Gruppen, die mit einer ganzen Reihe von Anschlägen bisher einen üppigen Sachschaden von mehr als 10 Mio. DM verursacht haben, wollen „weitere Schneisen der Stillegung in das alltägliche zerstörerische Gewalt monopol schlagen“. Sie haben - rechtzeitig vor der Inbetriebnahme - eine Liste mit weiteren am AKW–Bau beteiligten Firmen verbreitet. Die schleswig–holsteinische SPD hat gestern beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen die Betriebsgenehmigung erhoben. Die Inbetriebnahme Brokdorfs sei gerade nach Tschernobyl aus Gründen der Sicherheit unverantwortlich und außerdem energiewirtschaftlich unvertretbar. Noch am Montag war das Atomkraftwerk von kirchlichen und gewaltfreien Gruppen blockiert worden. Etwa 120 AKW–Gegner/innen hielten die Einfahrt mehrere Stunden lang besetzt. Außerdem wurden ein Strommast bestiegen und Dutzende von Schrauben abmontiert (“Am besten, die Bürger nehmen ihre Sicherheit selbst in die Hand und prüfen auch bei den Strommasten, ob alle Schrauben noch fest sind“). In Frankfurt fand gestern eine Spontan–Protestversammlung vor dem Sitz der Vereinigten Deutschen Elektrizitätswerke statt. Für morgen ist eine weitere Demonstration (17 Uhr, Paulsplatz) geplant. In Schleswig–Holstein haben die Grünen und auch die SPD gemeinsam mit mehreren Bürgerinititativen zu einer zentralen Demonstration am 18. Oktober in Kiel aufgerufen. -man– Tagesthema Seite 3