CDU–Parteitag: „Verwöhnen statt spalten“

■ Kontroversen werden in Mainz nicht ausgetragen / Dafür wird Selbstbewußtsein demonstriert / Wichtiger als die Ankündigung konkreter politischer Maßnahmen ist der Gang in die ideologische Offensive

Auf dem Bundesparteitag der CDU in Mainz herrschte kein Zweifel am Wahlsieg 1987. So zielt das Zukunftsmanifest - inhaltliches Kernstück des Parteitages - auf eine aktuelle ideologische Offensive und eine mittel– bis langfristige Umsetzung. Im Zentrum stand die Diskussion um den § 218, noch vor der Debatte um den angeblichen Mißbrauch des Grundrechtes auf Asyl.

Liebe, mag sich die Geschäftsstelle der CDU gedacht haben, geht durch den Magen. Kulinarische Köstlichkeiten gab es an den Abenden des Bundesparteitages in Mainz für die etlichen hundert Journalisten deshalb in Hülle und Fülle. „Verwöhnen statt spalten“ sei eben die Parole seiner Partei, versicherte CDU–Pressesprecher Jürgen Merschmeier. So wie an den Abenden niemand beim Wettstreit um trockene Weine und süße Nachspeisen leer ausgehen mußte, verließ auch kein Redner (Rednerinnen gab es im Verhältnis noch weniger als weibliche Delegierte) ohne eine ordentliche Portion Applaus das Podium. Unzufriedene Gesichter sollte es keine geben - die Kontroversen blieben ausgespart (Wahlprogramm), mußten verdeckt oder im Foyer der Rheingoldhalle ausgetragen werden. Lediglich der Landesvorsitzende der Jungen Union Saarland wagte es Dienstagabend kurz vor Schluß der Debatte, als ohnehin noch kaum jemand im Saal saß, für einen mittelfristig durchzuführenden Ausstieg aus der Atomenergie eine Lanze zu brechen. Die im Saal Verbliebenen ließen ihn ins Leere laufen. Ein paar Lacher, einige „Hört, hört“, und schon wars vergessen. Daß Strauß für seine Rede, in der er unter anderem das rassistische Regime in Südafrika in Schutz nahm und seiner Unzufriedenheit über die Selbstdarstellung der Unionsparteien gelinden Ausdruck verlieh, begeisterten Beifall einheimsen konnte, kommentierte ein Mandatsträger draußen vor der Tür mit einem nüchternen: „Im Zirkus kriegt der Clown auch den größten Applaus“. Außerdem sei nach Strauß Rede niemand aufgestanden. Standing ovations kassierte am Dienstag und Mittwoch nur der bedächtig auftretende Vorsitzende Kohl, der hier in Rheinland–Pfalz ohnehin ein Heimspiel hat, das ihm keine großen Anstrengungen abfordert. Mitreißen konnte er mit seiner Rede nicht. Der Kanzler ist gut und wichtig für die aktuellen Warnungen vor Überheblichkeit und allzu großer Siegeszuversicht. Kohl wird gebraucht - gerade weil es um die Integration des rechten Flügels und der allzu sozial und christlich denkenden Abweichler geht. Die große Liebe der Delegierten ist er nicht. Abtreibungsgegner sind präsent „Nein, hier kommen Sie nicht rein“ - „Personalausweis, Journalistenausweis, Einladung bitte“ - „Was haben Sie in ihrer Tasche?“ Es führen viele Wege in die Mainzer Rheingoldhalle - die meisten sind versperrt: der CDU– Parteitag ist gut und doppelt gesichert. Neben fast jedem der zahlreich postierten Polizisten stehen nochmal Ordner aus der Jungen Union. Das knappe Dutzend Demonstranten der rechten Abtreibungsgegner „Aktion für das Leben“ kann die Transparente - „Gegen massenhafte Babyzerstückelung in Deutschland“, „Gegen Massenmord an ungeborenem Leben“ - trotzdem unbehelligt vor dem Haupteingang entfalten und während des gesamten Parteitags Flugblätter verteilen. Gegen jede Möglichkeit zur Abtreibung agitiert auch die Besatzung eines Standes der „Christ– Demokraten für das Leben“ im Foyer der Rheingoldhalle - zum Teil werden dort auch die gleichen Materialien verteilt, wie von der „Aktion für das Leben“. Dieser Rechtsaußen–Flügel, der auch einen Antrag auf Streichung der Notlagenindikation gestellt und erst nach der Zusicherung, daß Anfang 1987 ein Parteitag „Schutz des Lebens“ durchgeführt werden wird, zurückgezogen hat, wird von vielen nicht so gern gesehen. Er trägt ein erhebliches, schwer zu entschärfendes Konfliktpotential in die eigene Partei - aber er bringt auch Prozente: „Wenn wir nicht wollen, daß rechte Splittergruppen entstehen müssen wir sie bei uns einbinden“ argumentiert der RCDS Bundesvorsitzende Christoph Brand. Die Polemik gegen Frauen, die abtreiben, die Ankündigung, gegen die häufige Inanspruchnahme vor allem der Notlagenindikation „alles“ (Kohl) unternehmen zu wollen, schiebt sich in Mainz vor die Diskussion um den angeblichen Mißbrauch des Grundrechts auf Asyl. Dabei geht es weniger um anstehende konkrete Maßnahmen als darum, die ideologische Offensive fortzusetzen. Deswegen ist bemerkenswerter als Dreggers Bekenntnis, den § 218 demnächst nicht verschärfen zu wollen, der Stellenwert, den er der Würdigung des „ungeborenen Lebens“ in seiner Rede einräumte: er setzte es noch vor sein Bekenntnis zum „Schutz der Nation“. Nicht zufällig wird auch mit dem unter Geißlers Federführung entstandenen Zukunftsmanifest - dem inhaltlichen Zentrum des Parteitags - auf eine aktuelle ideologische Offensive und eine mittel– bis langfristige Umsetzung gezielt. Daß der Wahlsieg der Koalition 1987 sicher ist, bezweifelte von den über 700 Parteitagsdelegierten keiner ernsthaft. Trotz des deutlich zur Schau getragenen Selbstbewußtseins ist aber auch der Vorsatz da, einen möglichst hohen Sieg erringen zu wollen - also so stark wie möglich zu mobilisieren. Die Parteizentrale aber - dafür steht das Zukunftsmanifest - denkt weiter. Zwar wird die 87er Wahl als „Schicksalswahl“ bezeichnet, wirklich spannend scheint aus heutiger Sicht aber, ob auch eine CDU, die strukturverändernd vor allem in das System der sozialen Sicherung eingreift und die Steuertarife von Grund auf verändert - vereinfacht, wie mehrfach in Reden abgekündigt wurde - 1991 in der Regierung bleiben kann. Noch ist die Einsicht, daß eine weitgehende Privatisierung von Dienstleistungen der Kommunen, Länder und des Bundes notwendig ist, nicht genug verankert, und auch daß „steigende Einkommen und Vermögen es immer mehr Privathaushalten ermöglichen, Risiken in eigener Verantwortung zu übernehmen“, also außerhalb der Sozialversicherung, erscheint wohl erst einer Minderheit der Wählerschaft zwingend. Auf dem Parteitag wird der erste Vermittlungsschritt - recht erfolgreich - getan. Basisdemokratisch geht es dabei nicht zu : selbst in den drei Foren, in denen am Mittwochnachmittag drei Komplexe des Manifestes diskutiert werden sollen, dominiert der Gestus: „Delegierte fragen - Experten antworten“ den Dialog. Oliver Tolmein