„Das Wichtigste: Im Bewußtsein hat sich viel getan“

Alle waren aufgerufen, sich „mit Mut, Kraft, Phantasie und langem Atem gegen einen drohenden Atomkrieg zu wehren“. 100.000 kamen am 10.10.81 zur ersten Bonner Friedensdemonstration. Die Mittelstreckenraketen wurden und werden trotzdem stationiert. Ist die Friedensbewegung am Ende? Unsere Umfrage liefert keine Analyse, sondern ein Stimmungsbild. Keine zündende Perspektive Der fünfte Jahrestag der ersten Bonner Demonstration, das ist wohl ein Tag vor dem Ende der neuen Friedensbewegung. Die Demonstration am 10.10.81 bildete den Auftakt und die am 11.10.86 im Hunsrück wohl den Schlußpunkt der großen Mobilisierungsphase. Wir sind jetzt wieder auf einem Niveau angelangt, das mehr müsame Kleinarbeit von uns erfordert. Wir müssen jetzt überwintern, das heißt auch, weiter Öffentlichkeitsarbeit machen, nach Schwachstellen in der Rüstungspolitik der NATO suchen, nach Aktionsansätzen. Ehrlich gesagt, mir fehlt im Moment die zündende Perspektive. Wir müssen erst eine neue Orientierung finden. Und dazu wäre es notwendig, die Geschichte der Bewegung aufzuarbeiten. Dieter Schöffmann, Koordinationsstelle „Ziviler Ungehorsam“ Kritik an Erscheinungsformen Eine Bewegung, die sich - wie die Friedensbewegung - auf so einen Minimalkonsens einigt, läuft immer Gefahr, daß sie schnell wieder kaputtgeht. Die Friedensbewegung hat immer nur reagiert und die Chance verpaßt, eine tiefgreifendere Gesellschaftsanalyse darzulegen. Unser Ansatz in der DDR war ein anderer, wohl auch weil wir dort schneller in eine direkte Konfrontation mit dem Staatsapparat gerieten. Es hat mich erschreckt, daß hier immer nur an Erscheinungsformen herumkritisiert wurde. So hat es auch die Illusion gegeben, die Stationierung sei zu verhindern. Aus der DDR sind viele in den Westen gegangen, die glaubten sich hier politisch verwirklichen zu können und dann in eintiefes Loch gefallen sind. Sie hatten durch die Berichterstattung ein völlig falsches Bild von der Wirksamkeit der Bewegungen im Westen. Die Ohnmächtigkeit spürt man dort wie hier.

Roland Jahn, ausgewiesener DDR– Friedensaktivist Den Frauen nur geschadet Ich sehe überhaupt nicht, was die Friedensbewegung gebracht hat. Die Friedensbewegung war nie militant genug. Sie hat ganz schnell Unterwerfungsrituale entwickelt nach dem Motto, wenn wir ganz ruhig und lieb und friedlich sind, dann tun die Herrschenden vielleicht die bösen Waffen weg. Es war ja schon vor fünf Jahren abzusehen, daß man nur durch ganz massiven Druck und nicht durch eine freundliche Bitt–Bewegung etwas erreichen Kann. Aber am meisten hat mich an der Friedensbewegung deprimiert, daß sie so viele Frauen unter dem Motto eingebunden hat, Frauen wären von Natur aus besonders friedlich und von daher ganz besonders geeignet, eine friedliche Welt zu schaffen. So hat die Friedensbewegung beigetragen, Frauen davon abzubringen, sich ganz massiv und militant für ihre eigenen Probleme, ihre Befreiung, einzusetzen.

Ingrid Strobl, Emma–Redakteurin Nuklearkonsens zerbrochen Damals wurde Erhard Eppler von Helmut Schmidt mit dem Rausschmiß aus der Partei bedroht, falls er sich gemeinsam mit anderen SPDlern an der Demonstration beteiligen würde. Da hat sich doch einiges zum Positiven in der SPD verändert. Und beim Gipfel in Reykjavik könnte vielleicht ein erster kleiner Erfolg der damaligen Aktivitäten sichtbar werden. Wir haben in diesen fünf Jahren den nuklearen Konsens zerbrochen. Damals gab es im Bundestag zwei Abgeordnete, die gegen die Nachrüstung waren. Heute sind es hoffentlich so viele wie SPD–Mitglieder, die Grünen sowieso. Wenn man davon ausgeht, daß man zum Abbau einer Vorstellung soviel Zeit braucht wie vergangen ist, um sie entstehen zu lassen, dann ist das recht schnell gegangen.

Alfred Mechtersheimer, Friedensforscher, Bundestagskandidat der Grünen Bedrohung durch USA Über die Friedensbewegung selbst bin ich eher resigniert. Nicht, weil die Leute wegbleiben, das ist ganz selbstverständlich. Ich bin auch weggeblieben, die wenigsten sind zum Berufspolitiker geboren. Aber an den Aktionen im Hunsrück sieht man, daß die Friedensbewegung überhaupt nichts dazu gelernt hat: Vor den Aktionen im Hunsrück hat die Friedensbewegung wieder über Gewaltfreiheit und Symbolik lamentiert und verliert dabei völlig aus dem Blick, wovor wir eigentlich Angst haben müssen: Nicht vor Atomwaffen, nicht vor der Polizei, sondern vor den USA. Wenn die Friedensbewegung die Bedrohung durch die USA und die Ver quickung der BRD damit konsequenter deutlich gemacht hätte, hätte sie mehr erreichen können. Ich finde es dramatisch, daß der US–Angriff auf Lybien so wenig Entsetzen auslöst.

Claudia Weidmann, ehemalige Göttinger Friedensaktivistin Bewußtseinsveränderung Mit der Demonstration vom 10.10.81 wurde die dezentrale Arbeit der verschiedensten Gruppen und Bürgerinitiativen, von der Frauen– bis zur Ökologiebewegung, wirksam. Die Ansätze, die damals deutlich geworden sind, lassen sich heute nicht mehr ohne weiteres in der Öffentlichkeit manifestieren, sind aber keineswegs verschwunden. Im politisch–institutionellen Bereich ist allenfalls erkennbar, daß die taktischen Bemühungen der Regierungen der NATO–Staaten, ihre Aufrüstung zu legitimieren, größer geworden sind. Aber für sicher halte ich, daß in diesem Punkt eine Bewußtseinsveränderung eingetreten ist, die nicht mehr einfach aufgehoben werden kann. Daß Menschen resignieren, die die Hoffnung hatten, kurzfristig etwas zu verändern, das ist eine Begleiterscheinung aller sozialen Bewegungen. Aber ich denke, daß eine ganz gute Infrastruktur der Bewegung erhalten geblieben ist, und bis heute wenden sich viele gewaltfreie Blockaden und anderen gewaltfreien Widerstandsformen zu. Wichtig ist jetzt die Weiterführung der dezentralen Arbeit.

Andreas Buro, Komitee für Grundrechte und Demokratie Alles Kohls Verdienst Der fünfte „Geburtstag“ der „Friedensbewegung“ ist für mich Anlaß, zu fragen, was eigentlich aus den damaligen Prophezeiungen geworden ist. „Raketen sind Magneten“ so hieß es damals, und später „Nach Rüstung kommt Tod“. Mit diesen und anderen Parolen wurde den Menschen Angst gemacht. Heute ist der Frieden sicherer als damals, Abrüstungsgespräche sind im Gange, die Großmächte reden wieder miteinander. Bewirkt hat dies alles nicht die „Friedensbewegung“, bewirkt hat dies die von Ihren Lesern so wenig geschätzte Bundesregierung unter der Führung von Helmut Kohl. Diese Regierung wird auch in Zukunft dafür sorgen, daß der Friede und mit ihm die Freiheit, für ihn und anderes zu demonstrieren, gesichert bleiben.