Frieden im Hunsrück

■ Morgen trifft sich die Friedensbewegung zum Besuch des dichtesten „Raketen–Waldes“ der Bundesrepublik

Heute vor fünf Jahren mobilisierte die Friedensbewegung zum ersten Mal zu einer Großdemonstration nach Bonn, gegen die Stationierung neuer Atomraketen. Die Stationierung wurde nicht gestoppt, aber morgen geht der Widerstand im Hunsrück weiter. Ab 11 Uhr wird am Samstag das zur Stationierung der Marschflugkörper vorgesehene Gelände bei Hasselbach von den Demonstrant/innen umschlossen und gegen 12 Uhr eine Menschenkette gebildet. Ab 14 Uhr beginnt auf dem Marktplatz von Bell die Kundgebung.

Hasselbach (taz) - Der 12.12.79 ist für die Hunsrücker ein Trauertag und in unangenehmer Erinnerung. An diesem Tag nämlich wurde von den kalten Kriegern der NATO der sogenannte NATO– Doppelbeschluß, die Stationierung der Pershing–2 und der Marschflugkörper Cruise Missiles (CM) in fünf europäischen Staaten (Großbritannien, Belgien, Italien, den Niederlanden und der BRD) offiziell verabschiedet. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis die Standorte der neuen Generation der Atomraketen bekannt wurden. Am kommenden Samstag wird zum ersten Mal die B–Batterie Hasselbach, ein früheres Bundeswehrgelände und heute das einzige CM–Depot auf bundesdeutschem Boden, Ziel einer Großdemonstration sein. Noch vor einem Jahr schien es, als habe die Friedensbewegung nach dem „Raketenherbst 83“ diesen Standort militärischen Wahnsinns einfach vergessen. In den Dörfern auf dem Höhenzug rund um Hasselbach fühlten sich die örtlichen Friedensinitiativen allein gelassen. Alle 96 für die BRD vorgesehenen CM werden ab 1987 in Hasselbach gelagert sein. So haben es die NATO–Strategen geplant. Der Stichtag für das Ende der Bauarbeiten ist der 31.12.86. Für jeden überzogenen Tag muß das beauftragte Bauunternehmen 90.000 DM Konventionalstrafe zahlen. In insgesamt sechs Bunkereinheiten werden jeweils 12 Cruise Missiles deponiert. Ca. 6.000 Tonnen Stahlbeton sind für den Bau eines einzigen Bunkers notwendig. Fast 70 Hektar Wald mußten für die CM–Basis gerodet werden. Knapp 120 Mio. Dollar kostet die Stationierung allein in Hasselbach, inclusive 42,5 Mio. Dollar für Infrastrukturmaßnah men. Dazu gehören vor allem der großzügige Ausbau vieler Hunsrückstraßen für die Militärfahrzeuge und der Bau von Wohnsiedlungen für amerikanische Soldaten. Aber auch neue Landbeschaffungsmaßnahmen der Militärs bei Gemeinden und Privatpersonen lassen der Bevölkerung keine Ruhe. Die Gerüchte, daß nach dem Vollzug der CM–Stationierung die Gemeinden Hasselbach und Hundheim gänzlich von der Landkarte verschwinden sollen, halten sich hartnäckig. Dieses Schicksal hat schon viele andere Hunsrückgemeinden ereilt. Doch einstweilen erweitern die Militärs sukzessive ihre derzeitigen Anlagen. Das wenige Kilometer entfernte Bundeswehrlager Kappel dient inzwischen als Zwischenlager für die Fahrzeuge der CM. Aber auch die Marschflugkörper sind bereits im Land und auf dem NATO–Flugplatz Hahn zur Zeit untergebracht. Das kleine Örtchen Wüschheim kam zuerst als mögliche CM–Basis im Hunsrück ins Gerede. Gemeint waren aber die Gemeinden Hasselbach und Bell. Die Hoffnung in Wüschheim, daß der Nachrüstungskelch an ihnen vorübergehen werde, bestätigte sich nicht. Auf der Gemarkung des Mini–Dorfes Wüschheim, knapp zwei Kilometer von dem CM–Depot entfernt, tummeln sich im Zuge der Aufrüstung trotzdem fünf militärische Einrichtungen, vier US–Anlagen der Airforce und der Army und ein Bundeswehrdepot. Das neueste Projekt aber ist jetzt im Bau: eine „Datenauswertestation“, die gleichzeitig als Kriegshauptquartier für die Luftwaffe bzw. ihr unterstellter Verbände geeignet ist. Auch die CM ist der US–Luftwaffe zugeordnet. Mit dieser „Datenauswertesta tion“ werden die Flugbahnen und die Angriffsziele für die Cruise Missiles und für Bomberverbände berechnet und gespeichert. Kalkulierte Kosten des sechsstöckigen Bunkers, der zum Teil in den Schieferberg eingelassen ist und dessen Wände aus 64 Zentimeter dicken Betonmauern bestehen: rund 20 Mio. DM. Der Wüschheimer Bürgermeister war wie üblich nicht über die Vorhaben der Amerikaner informiert worden. Nicht nur in Wüschheim hat der NATO–Doppelbeschiß den Zubau weiterer Militäranlagen provoziert. Rund um Hasselbach schießen die Depots und Kasernen nur so aus dem Boden. Zwei Patriotstellungen in Grenderich und Dichtelbach/Kandrich, die nach offiziellen Versionen vor allem dem Schutz der B–Batterie dienen sollen, sind bereits erstellt und die Patriot–Raketen seit der ersten Septemberwoche dort eingetroffen. Bei Kirchberg sollen ab 1992 nach den Plänen der NATO ein neues Treibstoffdepot und zusätzliche Wohnsiedlungen für die US– Militärs gebaut werden. Ein Jahr später ist die Erweiterung des Bundeswehrmunitionslagers in Weiterbach vorgesehen. Im bereits erwähnten Kappel vergrößerte man still und heimlich den Hubschrauberlandeplatz. In Stromberg soll schon ab 1989 das bestehende Treibstoffdepot zu einem gigantischen Luftwaffen– Betriebsstoffdepot auf rund 30 Hektar mit ca. 37 Mio. Liter Benzin, Diesel und Kerosin ausgebaut werden. Im Hesweiler Gemeindewald wird ein Bundeswehrgerätelager erweitert. Die Proteste gegen die Stationierung der Cruise Missiles in Hasselbach brodelten vor Ort bisher auf kleiner und kleinster Flamme. In Friedensstammtischen versuchten die Mitglieder der Friedensinitiativen sogar mit einigem Erfolg, über die Stationierung und ihre Folgen zu informieren. Spektakuläre Aktionen wie Blockaden blieben anders als in Mutlangen oder auf der Waldheide in Heilbronn, beides Pershing–2–Standorte, jedoch aus. Bisher verschlossen viele im Hunsrück die Augen „vor dem, was hier passiert“, sagt Helmut Jordan. Nicht zuletzt aber kam mit den Militärs auch mehr Überwachung ins Land, die die Bürger dort noch nicht erlebt hatten und die sie erheblich einschüchterte. Friedensstammtische werden bespitzelt, Teilnehmer von Friedensgottesdiensten wurden fotografiert und immer häufiger kreuzte hier und da die Polizei auf. Auch die von zwei Frauen über Monate durchgeführte Dauermahnwache vor dem Haupttor der Base gegen die „Wahnmache“ ist inzwischen aufgrund zahlreicher Schikanen durch die Polizei beendet. Als die Frauen ihren Unterstand einmal verlassen hatten, luden die Beamten kurzerhand deren Sachen auf einen LKW und transportierten sie nach Reckershausen. Auch das an einen Baum gekettete Fahrrad nahmen sie mit. Sie sägten den Baum ab. Felix Kurz