Wo die Freiheit grenzenlos ist

■ Die britischen Konservativen auf ihrem Parteitag / Tory–Show in Bournemouth und rechter Agit–Prop / Thatcher plädiert für Privatisierung und Stärkung der Landesverteidigung gegen UdSSR / Freiheit, die sie meinen: Der libertäre Parteiflügel verteidigt das Recht aufs Rauchen

Aus Bournemouth Rolf Paasch

Hereinspaziert nach Bournemouth, ins neumodische Konferenzzentrum, gelegen an dem Kanal, den sie den „englischen“ nennen. Lassen Sie sich nicht von den Patroullienbooten vor der Küste oder dem Hubschrauber über der abgesperrten Strandpromenade abhalten. Lassen Sie sich stattdessen überprüfen, durchsuchen und bis auf intimste Stellen abtasten und folgen sie Maggies Meute zu ihrem Parteitag in den Süden Englands. Die britischen Konservativen spielen in Bournemouth, Tory–Show, Vorwahlkampf–Spektakel, rechter Agit–Prop, Festival der Autosuggestion: Wir werden gewinnen, egal ob es noch sechs oder achtzehn Monate bis zur nächsten Wahl sind. Auf dem Spielplan steht: The Next Step Forward, die britische Version des „Weiter so, Deutschland“. Ein Statistenheer in Uniform oder ziviler Verkleidung, sowie ein Publikum aus 4.000 konservativen „Repräsentanten“, nicht gewählt, sondern in den Parteibezirken sorgfältig ausgesucht. 4.000 Ja–Sager, „die selbstgefälligste Sorte Mensch in Großbritannien“, so ein Kritiker. Schauplatz der Handlung ist Tory–Island, die Insel des britischen Establishments. Ein Eiland, seit Jahrhunderten bedroht von Vikingern, Normannen, Franzosen, dem Hause Hannover, Hitler und der einheimischen Arbeiterbewegung. Auch in diesem Jahr wird es bedroht: von Homosexuellen, die sich in die Aufklärungsliteratur für die Landeskinder eingeschlichen haben; von militanten Stadträten in den Rathäusern mit ihren atomwaffenfreien Zonen und Boykottaktionen gegen Südafrika; von der Labour Party, die mit ihrer verantwortungslosen Abrüstungspolitik die Sicherheit der Insel gefährdet; und, wie alle Jahre wieder, von ganz gewöhnlichen Kriminellen, dem sine qua non konservativer Law und Order– Politik. Inszeniert wird „Der nächste Schritt voran“ von der Parteiführung, der partizipatorisches Theater ein Greuel ist. Man merkt es der Produktion an: die Elektrizitätsbehörde schreibt das Skript zur Energiepolitik, die Reden bewegen sich auf Flugblattniveau, das Stück gerät zur politischen Farce. Statt in kathartische Zuckungen zu verfallen, nickt das Publikum (manchmal nickt es auch ein), lächelt und nickt und nickt und lächelt. Nur bei Schlüsselbegriffen wie „Lesben“ oder „Todesstrafe“ sind sie alle plötzlich wieder hellwach. Trotz der Aufstockung der Polizeikräfte um 15.000 Stellen gehe der „Krieg gegen die Tiere“, der Redner meint Verbrecher, verloren. „Todesstrafe“. „Yeah, yeah“, begeistert stehen sie auf und klatschen. Please Prime Minister, punish the hooligans. Frau Thatcher nickt wohlwollend und lächelt. Brosamen fürs Volk Unterbrochen werden solche akklamatorischen Szenen von langen Monologen der zuständigen Minister, deren Unterhaltungswert sich auf die Ankündigung neuer Gesetzesinitiativen beschränkt. Hier gibt es Zuckerbrot und Peitsche, Bestätigung für Besorgte und Beruhigung für Verschreckte. Erziehungsminister Kenneth Baker verspricht neue Schulen für die verkommenen Innenstädte; aber auch parent power, so daß die Eltern ihre Kleinen vor der Sexualpropaganda linker Schulbehörden schützen können. Arbeitslosenminister Lord Young befürwortet Jobclubs, in denen, wenn schon nicht gearbeitet, so doch wenigstens über Arbeit geredet werden darf. Und Schatzkanzler Lawson verteidigt seine Position, daß er das fallende Pfund eben nicht verteidigen könne im freien Spiel der Markkräfte. Zum Schluß dann, am Freitagnachmittag, der Monolog der Heldin: Margaret Thatcher, die Eiserne, 50 Minuten über Landesverteidigung und Freiheit. Freiheit für die, die sie sich leisten können. Dem Höhepunkt folgen zehneinhalb Minuten kollektiven Stehens und Klatschens. Ausgerechnet nach ihrem Plädoyer für weitere Privatisierungen und eine Stärkung der „Verteidigungsbereitschaft“ kommt die Farce von Bournemouth dem Theater des sozialistischen Realismus in der Volkskammer verdächtig nahe. Szenenwechsel: Ein verqualmtes Hinterzimmer im „Royal Bath Hotel“. Hier trifft sich der libertäre Parteiflügel bei freien Getränken zur Verteidigung des „Rechts aufs Rauchen“. Jungkonservative mit abgeknibbelten Fingernägeln, den Zigarrillo im Mundwinkel, polemisieren gegen die „Diktatur der Raucher“. Alt–Tories, deren herablassende Arroganz gegenüber den (nichtrauchenden) Massen grenzenlos ist, denunzieren den Mythos vom passiven Rauchen als linke Propaganda. Es geht um die Freiheit zu rauchen, die Freiheit vom Staat, die totale Freiheit. „Und die Freiheit von Arbeitslosigkeit?“ frage ich schüchtern in die mittlerweile völlig vernebelte, feucht–fröhliche Runde. „Bei euch in Deutschland ist das doch nicht so schlimm, das sind ja doch alles nur Türken“ (wieherndes Gelächter). „Und bei uns“, so ergänzt ein Abgeordneter aus Südengland, „sind es halt nur die aus dem Norden“. „Halt, süßes Fräulein, geben Sie uns doch noch ein Gläschen: Auf Maggie und auf die Freiheit. Prost.“