Weitreichende Weltraumpläne

■ Ein neues Raketen–Testgelände soll Indiens militärische Überlegenheit gegenüber Pakistan sichern / Zigtausend Bauern sind von Vertreibung bedroht

Noch wiegen sich die Kokospalmen im Wind, der vom Golf von Bengalen herüberstreicht, doch wenn es nach dem Willen der Regierung in New Delhi geht, sollen in der ländlichen Idylle von Baliapal an der Grenze zwischen den ostindischen Bundesstaaten Orissa und Westbengalen bald Raketenmotoren heulen. Das Verteidigungsministerium ist im „nationalen Interesse“ auf Landraub aus. Und dieses nationale Interesse ist in diesem Fall zunächst militärischer Natur: Indiens Soldaten wollen einen neuen Raketen–Schießplatz. Auf dem geplanten Nationalen Test–Gelände, so kündigte V.S. Arunachalam, wissenschaftlicher Berater des Verteidigungsministeriums, an, sollen Raketen, ferngesteuerte Flugzeuge und ballistische Geschosse mit mittlerer und großer Reichweite getestet werden. Längerfristig könnte sich die Basis dann zu einem indischen Cape Canaveral entwickeln, von dem einst auch Satelliten gestartet werden. Die Kosten, die für die Entwicklung des Testgeländes veranschlagt werden, betragen mit umgerechnet fünf Mrd. DM, mehr als dreimal soviel, wie im Jahr für Beschäftigungsprogramme zur Bekämpfung der Armut ausgegeben werden. Satellitenträume Schon seit Mitte der sechziger Jahre verfolgt Indien ein ambitioniertes Weltraumprogramm, dessen publizitätsträchtige Höhepunkte die Plazierung von APPLE, Indiens erstem geostatischen Telekommunikations–Satelliten (1981), und der All– Ausflug von Rakesh Sharma an Bord einer sowjetischen Raumkapsel (1984) darstellen. Mit dem in den USA für umgerechnet 150 Mio. DM gekauften INSAT IB wurde inzwischen ein weiterer Satellit über dem Subkontinent geparkt, der zur Übertragung von Fernsehprogrammen und Telefongesprächen sowie zur Wettervorhersage dient. Bis 1990 soll mit INSAT II eine in Indien selbst entwickelte Generation von Satelliten zur Verfügung stehen. So wie Rakesh Sharma mußten bislang auch die indischen Satelliten von anderen per Mitfahrgelegenheit ins All befördert werden. Der erste Schritt zu eigenen Trägerraketen gelang 1980 mit dem Satellite Launch Vehicle (SLV 3), mit dem der 40 Kilogramm schwere Satellit Rohini in eine Umlaufbahn gebracht wurde. Fieberhaft wird jetzt bei der Indischen Weltraum–Forschungs–Organisation (ISRO) in Bangalore an der Weiterentwicklung gearbeitet, Anfang der neunziger Jahre soll mit GSLV (Geo–Synchronous Launch Vehicle) eine Rakete einsatzbereit sein, die Satelliten der 1.900–kg– Klasse auf eine Höhe bis zu 36.000 Kilometern befördern kann. Der angestrebte Nutzeffekt der GSLV könnte aber auch in der horizontalen Verwendung liegen. Nach Experten–Meinung würden geringfügige Änderungen ausreichen, um sie zu einer Mittelstreckenrakete umzufunktionieren. Indien, das 1974 mit der unterirdischen Zündung einer Atombombe seine Eintrittskarte zum Atom–Club löste, würde damit zu einer vollwertigen Atom–Macht. „Wir haben kein Programm für Nuklearwaffen“, dementierte der Premierminister zwar die Spekulationen, „und das nationale Test–Gelände hat keine derartige Funktion.“ Doch je gewisser es wird, daß Pakistan bald ebenfalls über die Bombe verfügen wird, desto größer wird die Versuchung, die militärische Überlegenheit durch den Bau von Trägerraketen zu wahren. Unverhohlen warnte Staatsminister Khan kürzlich: „Die Pakistanis würden schon wieder zu Sinnen kommen, wenn sie wüßten, was wir besitzen.“ Umsiedlungsnöte Während die indische Regierung nach den Sternen greift, hat die eher erdverbundene Bevölkerung in Orissas Balasore–Distrikt den Widerstand organisiert. Die Zufahrtswege zu den Dörfern sind verbarrikadiert; sobald sich Fahrzeuge, die nach Regierung aussehen, annähern, blockieren die Dorfbewohner, zusammengerufen durch einen Stoß ins (Muschel–)Horn, die Straßen. Ursprünglich sollten für das nationale Raketen– Test–Gelände 160 Quadratkilometer menschenleer geräumt werden, bis zu 150.000 Personen hätten dafür umgesiedelt werden müssen. Nach Protesten der Bewohner und der Oppositionsparteien hat die Zentralregierung das Programm jetzt ein wenig zurückgestutzt. 100 Quadratkilometer sollen jetzt ausreichen, offiziell müssen damit nur noch 6.000 Familien für ein freies Schußfeld Platz machen. Die Betroffenen haben einiges zu verlieren. Betel–, Cashew– und Kokosnüsse bringen den Bauern gute Einkünfte. Dagegen ist ungewiß, was die Umsiedlung bringen würde. Zwar versprechen Ministerium, Zentral– und Landesregierung großzügige Entschädigungen, Ausbildungsmöglichkeiten, Hilfe beim Aufbau von Kleinindustrien und Jobs für einige Hundert Menschen auf dem Test–Gelände, doch solche Versprechungen stoßen nur auf Mißtrauen. Und gleichwertiges Land, mit dem die Bauern entschädigt werden können, ist knapp. So haben Tausende von Bauern geschworen, ihr Land mit ihrem Blut zu verteidigen - es liegt ihnen einfach näher als All–Machts–Träume. Uwe Hoering