AKW–Blockade in Italien - Zweifelhafter Erfolg

■ Der landesweiten Blockade der italienischen AKW–Gegner wurde durch die weiche Linie der staatlichen Energiegesellschaft die Schlagkraft genommen

Aus Latina Werner Raith

„Irgendwie“, sinniert Loredana, während sie das letzte weiße Auge ins zum Totenkopf umfunktionierte O von „No al nucleare“ pinselt, „ist es, als ob man eine Leiche ermorden würde. Das alles“ - sie weist auf den Uralt–Reaktor vom Tschernobyl–Typ und die im Bau befindlichen Anlagen - „ist doch sowieso nicht mehr zu halten.“ So recht will noch keine Stimmung aufkommen, als die ersten Atomkraftgegner fröstelnd gegen vier Uhr früh die Versuchsanlage „Cerene“ bei Latina südlich Roms zu blockieren beginnen. Aufwärm– Tees und ein paar Hörnchen von gestern helfen da auch wenig: Erst als Busse aus Cisterna, Castelli Romani und sogar einer aus Neapel heranrattern, kommt so etwas wie Demo–Laune auf. Doch gleich wieder eine kalte Dusche: noch ein Bus, mit Riesentransparenten außenherum „Fare verde“ (Macht grün) - aus dem, wohlorganisiert und emblemverziert, drei Dutzend Militante der „Fronte della giovantu“ springen, der neofaschistischen Nachwuchsorganisation. Die hatte natürlich keiner direkt eingeladen - aber wegscheuchen will man sie auch nicht, schließlich soll der Protest ja die größtmögliche Breite bekommen. Erst als die FdG–Leute sich, wohl in strategi scher Absprache, verteilen und bei den Diskussionsgruppen das Kommando zu übernehmen trachten, gibts Zoff. Die Jungfaschisten ziehen sich zurück und bilden eine eigene Gruppe. Bei Morgengrauen verbreitet sich die Kunde, daß die staatliche Energiegesellschaft ENEL - die die Atomkraftwerke betreibt - eine „weiche Linie“ einschlägt und die Bautätigkeit in den vier italienischen Meilern, wo derzeit gebuddelt wird, für einen Tag ausgesetzt hat. Die Freude über das „In– die–Knie–gehen“ der mächtigen ENEL zerstäubt allerdings auch bald wieder - jetzt fehlt irgendwie der Gegner. „Was blockieren wir denn schon“, bohrt Loredana weiter, „wenn die an unserem Blockadetag eh nicht arbeiten? Wir rennen gegen eine Gummiwand an.“ Der Abgeordnete Franco Russo, der vor Monaten die Anlage einige Tage „besetzt“ hatte, setzt auf langfristige Strategien: „Sprechen wir mit den Arbeitern der Nuklearanlagen, beweisen wir ihnen, daß sie ihre Arbeitsplätze nicht verlieren werden, suchen wir nach Möglichkeiten, die Bautätigkeit an den Meilern für alle Zeit zu blockieren.“ Applaus - aber nur mäßiger. Cesare Donnhauser von der Lega ambiente spricht vom „Riesenerfolg, weil es uns als erstem europäischen Land gelungen ist, landesweit und zu gleicher Zeit alle in Bau befindlichen Atomanlagen zu blockieren“: Er gibt Nachrichten weiter, die er eben telefonisch aus den anderen Reaktorstandorten Montalto di Castro, Trino und Castiglion dei Pepoli erhalten hat; da kommt nun doch so etwas wie Siegesstimmung auf. Doch allen ist klar, daß das längst kein endgültiger Sieg ist, zumal Italien ja in großem Maß Atomstrom aus Frankreich bezieht. Eine Aufforderung an den Bürgermeister von Latina, sich einer Diskussion zu stellen, bleibt unbeantwortet: Daraufhin schlagen Autonome eine unangemeldete Demo im Stadtzentrum Latinas vor. Das wird einhellig abgelehnt - kurz zuvor waren Nachrichten von Eier– und Steinwürfen gegen Polizisten in Trino durchgekommen. Nach sechs Stunden wird die Blockade aufgehoben; die Stimmung ist nicht gerade euphorisch. Aber immerhin - „Es ist gelungen, die Anlagen einen ganzen Tag abzuschalten“, sagt Franco Russo, „und zwar ganz und gar friedlich.“ Der Stein, der da vom Herzen poltert, ist deutlich zu hören. Italienischer AKW–Gegner Foto: Saba Laudanna