Amal belagert Camps im Südlibanon

■ Libanesische Schiitenmiliz besteht auf Entwaffnung der Palästinenserlager / Erst nach zwölf Tagen schwerer Gefechte konnten Schwerverletzte aus Rashediyeh evakuiert werden / Blockade behindert Versorgung mit medizinischen Hilfsgütern und Lebensmitteln

Aus Beirut Joseph Kaz

Nach zwölftägiger völliger Belagerung konnte am Samstag endlich ein erster Konvoi mit Schwerverletzten das Palästinenserlager Rashediyeh südlich der libanesischen Hafenstadt Sour verlassen. Seit dem 30. September hatten Milizen der Schiitenbewegung Amal das südlichste aller Flüchtlingslager unter Dauerbeschuß gehalten und niemandem erlaubt, das Camp zu betreten oder zu verlassen. Israelische Hubschrauber und Kanonenboote beobachteten täglich aus sicherer Distanz das Kampfgeschehen. Nicht einmal das Internationale Rote Kreuz er hielt die Genehmigung, Schwerverletzte zu evakuieren. Neben Lebensmitteln waren vor allem die notwendigsten medizinischen Versorgungsgüter wie Verbandsmaterial, Blutkonserven und Antibiotika im Lager bereits so knapp geworden, daß die Versorgung Kranker und Verletzter ernsthaft gefährdet war. Wegen der absoluten Unzugänglichkeit der Lager konnten genaue Zahlen über die Opfer der schweren Kämpfe nicht ermittelt werden. Ein Mitarbeiter der bundesdeutschen Hilfsorganisation „medico international“ im Südlibanon sprach von ca. 400 Verwundeten und 70 Toten. Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf alle Flüchtlingslager nahe der Stadt Sour, in denen insgesamt 45.000 Palästinenser in permanenter Auseinandersetzung mit den Schiitenmilizen leben. Die Amal–Kämpfer hatten Rashediyeh vor knapp zwei Wochen unter Beschuß genommen - mit der Begründung, die Palästinenser hätten einen ihrer Kontrollposten angegriffen. PLO–Chef Arafat beschuldigt allerdings die Bewegung Amal, sie wollte die gesamte palästinensische Flüchtlingsbevölkerung aus dem Südlibanon verdrängen. Der Waffenstillstand vom Samstag kam unter Vermittlung syrischer Sicherheitsberater zustande, die mit den Verantwortlichen der Schiitenmiliz und dem Sicherheitskomitee des Lagers Rashediyeh die Aufhebung der Blockade aushandelten. Im Gegenzug sollten die Palästinenser „Unruhestifter“ und Waffen an Amal ausliefern. Tatsächlich wurden auch fünf junge Männer und eine vergleichsweise lächerliche Menge leichter Waffen (sechs Automatikgewehre vom Typ AK 47, ein Maschinengewehr und eine Luftabwehrrakete) mit dem Konvoi der Verwundeten aus dem Lager gefahren. Amal veröffentlichte kurz darauf eine Erklärung, in der behauptet wurde, zwei LKW–Ladungen voller Waffen seien ausgeliefert worden. Ein Abkommen zwischen der palästinensischen „Rettungsfront“, einem Bündnis verschiedener Anti–Arafat–Gruppen und den Milizen des Südlibanon–Ministers Nabih Berri über einen Waffenstillstand im Südlibanon war bereits am 5. Oktober in der syrischen Hauptstadt Damaskus geschlossen worden. Darin wurde jedoch die umstrittene Frage der Entwaffnung der Palästinenser nicht geregelt. Abdel Magid Saleh, Mitglied des Politbüros von Amal und einer der Hauptverant wortlichen für den Südlibanon, erklärte noch am Samstag in seinem Büro in Sour: „Das ist für uns keine Verhandlungsangelegenheit. Wir bestehen darauf, daß alle Lager in der Nähe von Sour entwaffnet werden.“ „Die Bevölkerung der Lager weigert sich kategorisch, die Waffen niederzulegen“, erklärte indes ein Verantwortlicher der Damaskus–abhängigen palästinensischen Rettungsfront. Das Lager Rashediyeh hat sich mehrheitlich Yassir Arafats Organisation El Fateh angeschlossen. Zu Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Palästinenserfraktionen kam es nicht. Die Parteien der Rettungsfront werden im Camp akzeptiert, man hat sich zur „Verteidigung der palästinensischen Sache“ vereint. Der Delegierte der UN–Organisation für palästinensische Flüchtlinge im Libanon (UNRWA), Klaus Worn, berichtet unterdessen, er sei auch am Samstag noch von Amal–Milizionären gehindert worden, das Camp Rashediyeh zu betreten. In Bourj Chamali, einem Lager nördlich von Sour mit ca. 15.000 Einwohnern, sei es ihm nicht anders ergangen. Der palästinensische Direktor des UNRWA–Büros in Bourj Chamali bestätigte die Blockade: „Es mangelt bereits an Lebensmitteln, frische Nahrung kommt nicht durch die Sperren. Die Bewohner trauen sich nicht mehr in die Randgebiete des Lagers, denn es wird sofort auf sie geschossen.“ Abu Nimr, Mitglied des Volkskomitees von Bourj Chamali, ergänzt: „Seit dem Rückzug der Israelis 85 kontrollieren die Amal–Milizen das Lager. Unsere Bevölkerung ist willkürlichen Verhören und Verhaftungen ausgesetzt.“ Seit einigen Tagen gilt für den gesamten Süden eine Direktive der Amal, daß alle Palästinenser, die außerhalb der Flüchtlingslager leben, in die Lager zurück müssen. Palästinensischen Landarbeitern wurde jede Tätigkeit untersagt, auch sie wurden gezwungen, in die Lager zurückzukehren. Libanesischen Händlern wurde per Plakatanschlag unter Androhung von Strafe untersagt, Waren jeglicher Art an Palästinenser zu verkaufen. Das kleinste Camp in der Nähe von Sour, El Bass mit seinen 5.000 Einwohnern, wirkte am Samstag wie ausgestorben. Ein Amal–Milizionär kontrollierte die Papiere der Journalisten. Nur unter Mühen fanden wir schließlich den Verantwortlichen des Camps. Der alte Mann von sicher 65 Jahren, mit der traditionellen Kopfbedeckung Kefieh eingehüllt, weigerte sich, eine Stellungnahme abzugeben: „Keine Presseerklärung - wir haben schon so genug Schwierigkeiten“, sagt er. Der Verantwortliche von Amal, Abdel Magid Saleh, Vertreter von Daoud–Daoud, der sich wegen einer Herzoperation in der Schweiz aufhält, rechtfertigt die rigorosen Maßnahmen gegen die Palästinenserlager so: „Die Arafat–Leute haben versucht, eine Verbindung zwischen den drei Lagern herzustellen. Dem sind wir zuvorgekommen. Wir wollen Sicherheit für den Süden herstellen, und die ist nur möglich, wenn wir weiterhin darauf bestehen, daß die Palästinenser ihre Waffen abliefern.“ medico international appelliert vor diesem aktuellen Hintergrund besonders an den Senat von Berlin und an die anderen Bundesländer, keine palästinensischen und libanesischen Asylsuchenden in den Libanon auszuweisen, und bittet dringend um Spenden für die medizinische Soforthilfe im Libanon. Konto 1800 der Stadtsparkasse im Frankfurt.