Entmündigungsrecht reformieren

■ Entmündigungen sollen abgeschafft werden / Gesetzentwurf der Grünen zu „Beistandschaften“ soll Menschenrechtsverletzungen in Heimen und Psychiatrie verhindern helfen / Betroffene und Experten angehört

Aus Bonn Oliver Tolmein

Auf einer Anhörung zum Thema „Menschenrechte in Heim und Psychiatrie“, die gestern stattfand, stellten die Grünen im Bundestag ihren „Entwurf eines Gesetzes über die Beistandschaft für behinderte Personen“ zur Diskussion. Mit dem Gesetzentwurf, der in Zusammenarbeit mit dem Seniorenschutzbund „Graue Panther“ und dem „Arbeitkreis gegen Menschenrechtsverletzungen in Heimen“ erarbeitet wurde, soll die Diskussion über das noch aus dem Jahr 1896 stammende Entmündigungsrecht in Gang gesetzt werden, das - so der grüne Abgeordnete Bueb in seinem Einleitungsreferat - die polizeiliche Exekution der öffentlichen Ordnung in den Vordergrund stellt und den Schutz des Individuums nicht zum Thema hat. In der Bundesrepublik waren 1984 etwa 71.000 Menschen entmündigt und 164.000 Menschen unter die nicht ganz so einschneidend entrechtende Vormundschaft gestellt. Der Gesetzentwurf der Grünen sieht vor, daß es eine vollständige Entmündigung mit dem Verlust der Geschäftsfähigkeit nicht mehr geben soll. Eine Situation wie heute, in der Entmündigte nichts mehr unterschreiben dürfen, ihren Wohnsitz nicht mehr frei wählen können, keine Verfügungsgewalt mehr über ihr Geld haben und nicht einmal den Vormund selbst aussuchen können, soll nicht mehr entstehen können. Außerdem soll auch bei Beistandschaften, so der neue Begriff, der Gedanke der Rehabilitation im Vordergrund stehen: Es soll also keine lebenslänglichen Beistandschaften geben, sondern immer versucht werden, die Betroffenen möglichst weit und möglichst bald selbständig handeln zu lassen. Eng verbunden mit dem Gesetzentwurf ist deshalb eine Absage an die stationäre Versorgung in Heimen, die Wolf Dieter Narr in seinem Redebeitrag als „totale Situationen schaffende Institutionen“ charakterisierte, in denen Pflegebedürftige anderen Menschen völlig ausgeliefert seien. Damit steht der Entwurf für ein Beistandschaftsgesetz in engem Zusammenhang mit dem grünen Entwurf für ein Bundespflegegesetz und mit den psychatriepolitischen Initiativen der Grünen auf Bundes– und Länderebene, die alle die Schaffung eines flächendeckenden ambulanten Versorgungsnetzes bei Auflösung der Heime anvisieren. Bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf an sich äußerte Michael Wunder von der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit und Soziales Kritik an dem teilweise zu bürokratischen Grundansatz des Entwurfes: Daß nicht ausdrücklich festgeschrieben ist, daß die eine Beistandschaft benötigende Person ein Vorschlagsrecht hat, sei genausowenig akzeptabel, wie die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, Menschen, denen das Gericht einen Beistand verordnen möchte, auch zwangsweise vorzuführen. „Wenn jemand sich entschließt, nicht vor Gericht über eine Beistandschaft reden zu wollen, weil er keine Beistandschaft will, dann hat niemand das Recht, sie ihm aufzuzwingen“. Fatal sei auch die Absicht, ein Bundeszentralregister über Beistandschaften vorzusehen: „Dann ist der Weg zur Bundessozialdatenbank nicht mehr weit“.