Abfuhr an die „sanfte Chemie“

■ IG–Chemie–Vorsitzender Rappe zum Entgiftungsprogramm der Grünen: Bekämpfung des Industriegesellschafts–Prinzips / Gewerkschaftliche Mitarbeit an der Umwelttechnologie verunglimpft

Aus Hamm Martin Kempe

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik, Hermann Rappe, hat die Fachtagung „Großchemie“ seiner Organisation für eine harte Abrechnung mit dem Entgiftungsprogramm der Grünen genutzt. Vor rund 160 Betriebsräten und Vertrauensleuten aus den fünf größten bundesdeutschen Chemieunternehmen (BASF, Bayer, Hoechst, Henkel und Hüls AG) sagte Rappe in Hamm, die mit dem Entgiftungsprogramm eingeschlagene politische Strategie der Grünen laufe auf eine „prinzipielle Verunglimpfung der gewerkschaftlichen Mitarbeit an Verbesserungen von Umwelttechnologien, Gesetzen, schärferen Kontrollen, niedrigeren Grenzwerten“ usw. hinaus. Die Gewerkschaft könne es nicht widerspruchslos hinnehmen, wenn die Grünen und ihre „Vorfeldorganisationen“ die in ihrem Entgiftungsprogramm angekündigten Maßnahmen und Aktionen durchführten. Die IG Chemie wolle geeignete Informationsmaßnahmen über die ihrer Ansicht nach richtige Chemiepolitik und über die politischen Absichten der Entgiftungskampagne der Grünen bereitstellen.Die IG Chemie wendet sich strikt dagegen, sich auf eine einzige Alternative zur gegenwärtigen Chemiepolitik wie z.B. die sog. „sanfte Chemie“ festzulegen. Eine konsequente Umrüstung der Industriegesellschaft „nach dem Bauplan einer sanften Chemie führt zu massiven Einschränkungen und Eliminierungen von Produkten, Produktionsverfahren, Produktionsstätten und Arbeitsplätzen“, meinte Rappe. Die „drastischen Negativ–Effekte“ der von den Grünen geforderten Eingriffe auf die Lebensqualität des Einzelnen sowie auf die gesellschaftlichen Strukturen gefährden, so Rappe, „die Grundlagen des demokratischen Sozialstaats, verhindern die Weiterentwicklung einer zukunftsorientierten Industriegesellschaft“. Die Beziehungen zwischen Mensch und Natur seien widersprüchlich.Eine Ausrichtung auf „ausschließlich ökologische Wertsysteme“ und eine daraus abgeleitete nationale Entgiftungsstrategie ohne Rücksicht auf die weltwirtschaftlichen Verflechtungen der Bundesrepublik könne nur in einer Sackgasse enden. Die Nichtbeachtung existentieller Arbeitsplatzinteressen „steht im Widerspruch zu gewerkschaftlichen Positionen“.Die Politik der Grünen trägt nach Meinung Rappes zur weiteren Polarisierung in der Gesellschaft bei und „unterstützt neokonservative Angriffe auf die wirtschafts– und sozialpolitischen Erfolge der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften“. Deren Ziel sei nicht die Abschaffung, sondern „die Weiterentwicklung der Industriegesellschaft“. Ziel der Konferenz war gleichzeitig die Diskussin der Angestelltenarbeit. Wie in anderen Branchen steigt der Anteil der Angestellten auch in der Chemieindustrie. Die Entwicklung der IG Chemie, „was aus ihr wird, wie sie sich entwickelt“, hängt von der Entwicklung der Chemieindustrie ab, mithin also von der zukünftigen Industriepolitik in der Bundesrepublik. Insofern begreifen Rappe und die überwiegende Mehrzahl der IG–Chemie–Funktionäre die im Entgiftungsprogramm enthaltene gesellschaftliche Strategie der Grünen als existentielle Bedrohung ihrer Organisationsinteressen.