I N T E R V I E W „Sinnvoller Nobelpreis“

■ Dany Cohn–Bendit, Herausgeber des Pflasterstrand, zur Nobelpreisverleihung

taz: Elie Wiesel hat den Friedensnobelpreis bekommen. Dany: Das freut mich sehr, eine gute Entscheidung. Die spannendste Intervention von Elie Wiesel war ja seine öffentliche Aufforderung an Reagan, nicht nach Bitburg zu fahren. Diese Intervention anläßlich einer Preisverleihungsrede wurde zum Teil auch im Fernsehen übertragen. Elie Wiesel ist das Symbol der Erinnerung an die Judenvernichtung sowohl in seinen Romanen als auch in seinen politischen Aussagen. Was weißt Du über seine Literatur? Sie spielt ausschließlich im jüdischen Milieu, sie tradiert die jüdische Lebenskultur. Er schreibt auf französisch. Es gibt ja immer zwei Arten von Friedensnobelpreisverleihungen, die unsinnigen, dazu würde ich die Ärzte gegen den Atomkrieg zählen, Kissinger und Begin und Sadat und Mutter Teresa. Die Nobelpreise an sie hatten keine Konturen. Auf der anderen Seite gibt es Preisträger wie den südafrikanischen Bischof Tutu, Willy Brandt und jetzt Elie Wiesel. Sie sind würdige Preisträger in dem Sinn, daß sie zur gesellschaftlichen oder politischen Befriedung beigetragen haben. Die Kulturarbeit, die Elie Wiesel leistet, ist ein Beitrag zur Befriedung, indem er Geschichte als Erinnerung versucht wachzuhalten. Du bist intimer Kenner Frankreichs. Wiesel hat dort lange gelebt und sich auch politisch eingemischt. Kannst Du Beispiele erzählen? Er hat zum Beispiel dazu aufgerufen, daß die Sozialisten an der Macht bleiben sollen, nicht wegen der Sozialisten, sondern wegen Jacques Lang, dem Kulturminister. Er fand die Kulturarbeit von Lang gut, sie war für ihn autoren– und theaterfreundlich. Er hat die Bewegung „SOS– racisme“ unterstützt, die Aktion „Ne touche pas mon pot“ (Rühr meinen Kumpel nicht an). Er hat sich nicht nur als Sprecher gegen den Antisemitismus verstanden, sondern er hat sich auch als Person gegen Antisemitismus und Rassismus verstanden. Er hat das in Erklärungen und immer wieder auch Interventionen aufrechterhalten. Werden die Reaktionen in der Bundesrepublik auf die Zuerkennung des Preises an Elie Wiesel nicht vor Scheinheiligkeit strotzen? Alle Leute werden begeistert sein. Es wird keine ehrliche Diskussion geben. Elie Wiesel würde in Deutschland zum Beispiel in der Asylfrage die Positionen der Grünen vertreten. Er hat mit den Grünen nichts am Hut, aber in der Asylfrage würde er die Position vertreten, daß man Menschen, die Asyl suchen, Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, Menschen, die aus Hungergebieten kommen, daß man denen Asyl gewährt. Das wird aber in den Kommentaren nicht diskutiert werden. Zur Scheinheiligkeit: Es ist natürlich leicht, sie zu denunzieren. Ich glaube, die Reaktionen werden die berühmt–berüchtigte positive Betroffenheit aufgrund der deutschen Geschichte sein. Natürlich werden von Helmut Kohl bis zu diesem Republikaner aus Bayern, Schöfberger, alle sagen, daß es richtig ist, so einem Menschen einen Friedensnobelpreis zu geben. Aber es wird nicht real integriert, wie alle Diskussionen um Judentum, Judenvernichtung und Rassismus nicht in die politische Kultur der Bundesrepublik integriert werden. Wird Bitburg nicht doch noch einmal zur Diskussion gestellt werden? Wenn ein Politiker hier ehrlich ist und die Preisverleihung an Elie Wiesel befürwortet, dann müßte er selbstkritisch zu Bitburg Stellung nehmen. Das wäre eine Form von wirklichem Akzeptieren dieses Nobelpreises. Das ist jetzt kein Appell, es wird nicht geschehen. Interview: Max Thomas Mehr