Der letzte Ansturm

■ Neue Visaregelung für Großbritannien–Besucher vom indischen Subkontinent Chaotische Szenen spielten sich auf dem Londoner Flughafen Heathrow ab

Aus London Rolf Paasch

Die Einführung von Visa für Großbritannien–Besucher vom indischen Subkontinent hat auf dem Londoner Flughafen von Heathrow zu chaotischen Szenen geführt. Hunderte von Passagieren, die noch ohne formale Prozedur in ihr ehemaliges Mutterland einreisen wollten, mußten in den letzten Tagen in der Ankunftshalle des Flughafens kampieren, oder wurden in nahegelegenen Hotels im Auftrag ihrer Majestät von privaten Sicherheitsfirmen bewacht. Im Gegensatz zu den Bewohnern der anderen Commonwealth– Länder müssen Inder, Pakistani und Leute aus Bangla Desh von Mittwoch an in ihrem Heimatland ein Visum beantragen, ehe sie Großbritannien besuchen dürfen.Sprecher von Organisationen, die sich mit Ausländerfragen befassen, kritisierten die neuen Maßnahmen als „überstürzt“, „unökonomisch“ und „rassistisch“. Lange Schlangen sind in der Ankunftshalle von Heathrow nichts Neues. Die Einwandererbehörden nahmen sich der dunkelhäutigen Besucher schon immer mit besonderer Sorgfalt an. Schon seit über einem Jahr beklagten sich die Mitglieder der rechten Gewerkschaft der Einwanderungsbeamten (ISU) über unerträgliche Arbeitsbedingungen. Auch die rechtliche Möglichkeit von Abgeordneten, zurückgewiesenen Besuchern dennoch den Aufenthalt zu ermöglichen, war den überarbeiteten Grenzkontrolleuren ein Dorn im Auge. Statt eine Stellenerweiterung zu fordern, signalisierte man der Regierung Thatcher, daß die Schlangen kürzer werden müßten; ein Signal, auf das Innenminister Douglas Hurd nur gewartet hatte. Das Recht der Abgeordneten, sich der abgewiesenen Besucher anzunehmen, wurde beschnitten. Dies ist wohl das erste Mal, daß sich die Regierung Thatcher ihre Politik von einer Gewerkschaft vorschreiben ließ. Geschickt nutzte man den statistischen Anstieg bei den Zurückweisungen von Großbritannien– Besuchern vom indischen Subkontinent und bereitete eine Visaregelung vor. Dabei gaben die Statistiken nicht einmal Aufschluß darüber, ob die Zunahme auf einen generellen Besucheranstieg, oder auf das gewachsene Mißtrauen der Grenzkontrolleure zurückzuführen war. Nachweisbar ist lediglich, daß im Jahr 1985 220 Besucher aus diesen Ländern nach ihrem Besuch illegal in Großbritannien blieben, 220 von über 8.000. Um die ausländerfeindliche Stimmung zu schüren, ist der Regierung Thatcher offenbar nichts zu teuer. Die jetzt in Kraft getretene Visaregelung kostet den Steuerzahler rund 14 Mio. Pfund, das sind 70.000 Pfund (über 200.000 DM) pro illegalem Einwanderer; eine Relation zwischen Aufwand und Effekt, so eine Kritikerin, „wie im Falkland–Krieg“. Denn statt mit einem Bruchteil der Gelder die Einwanderungsbehörde in Heathrow zu stärken und - wie es die Vereinigung der Rechtsberatungstellen fordert - eine Berufungsinstanz für abgewiesene Besucher zu etablieren, wird die Aushändigung der Visa nun den britischen Stellen in Delhi und Dakha übertragen. Jene post– koloniale Bürokratie versagt jedoch schon bei der Behandlung von Einwanderungsersuchen. So fand die Berufungsinstanz in Einwanderungsfragen beispielweise in Bangla Desh heraus, daß im vergangenen Jahr jede zweite Ablehnung eines Einwanderungsantrages unrechtmäßig war. Die gleichen Beamten müssen nun auch noch darüber entscheiden, wer zum Besuch seiner Großmutter nach Großbritannien reisen darf.